Diese junge Schildkröten-Lady, die gerade aus ihrem Ei schlüpft, hat einen komplexen Entwicklungsprozess hinter sich. Dass sie ein Weibchen geworden ist, verdankt die kleine Rotwangen-Schmuckschildkröte der Umgebungstemperatur in der Sandgrube rund um ihr Ei. Bei 31 Grad, wie in diesem Fall, entwickeln sich in dem Ei nämlich stets weibliche Schildkröten. Bei kühleren Temperaturen von bis zu 26 Grad schlüpfen aus dem Ei hingegen Männchen.
Der Einfluss der Temperatur auf die Geschlechtsentwicklung der Schildkröten ist zwar seit langem bekannt, auch von anderen Schildkrötenarten. Ein Forschungsteam um Pengfei Wu von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Peking hat jedoch nun erstmals herausgefunden, wie genau die Temperatur die Entwicklung des Geschlechts der Schildkröten-Embryos beeinflusst.
Das ist wichtig zu verstehen, weil die Erderwärmung bereits beginnt, das Geschlechterverhältnis bei Meeresschildkröten zu verschieben. Die Biologen untersuchten daher die molekularen Mechanismen während der Entwicklung der Rotwangen-Schmuckschildkröte (Trachemys scripta elegans).
Genetischer Signalweg entscheidet über das Geschlecht
Demnach reguliert ein spezieller Signalweg die Entwicklung der Geschlechtsmerkmale. Dazu zählen der Transkriptionsfaktor pSTAT3 und das von ihm regulierte Gen FoxI2. Beide Komponenten sind bei 31 Grad aktiver. Das Protein pSTAT3 erhält bei dieser Temperatur einen Anhang in Form einer Phosphorgruppe und wird dadurch aktiviert. Daraufhin regt es die Expression des Gens FoxI2 an, das wiederum für weibliche Geschlechtsmerkmale wie Eierstöcke sorgt, wie die Experimente ergaben. Zugleich blockiert das Protein pSTAT3 das Gen Kdm6b, das ansonsten für männliche Geschlechtsmerkmale wie Hoden sorgt.
Wird pSTAT3 künstlich aktiviert, bilden sich entsprechend überwiegend weibliche Schildkröten – selbst bei niedrigeren Temperaturen, wie Wu und seine Kollegen bei ihren Tests feststellten. Ist dieser Faktor hingegen blockiert oder defekt, entwickeln sich aus den Embryos mehrheitlich Männchen. Dasselbe galt für eine Aktivierung beziehungsweise Hemmung des Gens FoxI2.
Weibchen sind nicht der Standard
Diese Ergebnisse erklären damit erstmals, über welchen molekularen Mechanismus das Geschlecht von Schildkröten bestimmt wird. Die männlichen und weiblichen Signale sind dabei beide von der Temperatur abhängig und das Resultat natürlicher Schwankungen im Meer. Entgegen der bisherigen Annahme sind die Signale für eine weibliche Entwicklung jedoch nicht die „Standardeinstellung“, sondern die direkten Gegenspieler der männlichen Signale. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2024; doi: 10.1073/pnas.2401752121)
Quelle: Chinesische Akademie der Wissenschaften