Auf den ersten Blick wirkt diese arktische Landschaft nicht gerade belebt – und schon gar nicht von Viren. Doch das täuscht. Denn selbst auf dem Gletschereis kommen ganze Populationen von Viren vor, wie Forscher herausgefunden haben. Die meisten von ihnen befallen jedoch keine Menschen, sondern Bakterien, die im Wasser und Eis dieser unwirtlichen Gegenden leben.
Viren sind extreme Anpassungskünstler – und kommen nahezu überall vor. Sie tummeln sich in und auf unserem Körper, befallen verschiedenste Tier- und Pflanzenarten oder nutzen Bakterien als ihre Wirte. Längst nicht alle Viren machen dabei ihre Träger krank oder töten sie. In manchen Fällen hat sich im Laufe der Evolution auch eine Koexistenz entwickelt, die Virus und Wirt das Überleben erlaubt. Sogar in unserem Erbgut finden sich viele Abschnitte, die einst Viren hinterlassen haben – und die heute für uns wichtige Funktionen erfüllen.
In kleinen Eissenken verborgen
Diese Aufnahme zeigt einen der extremsten Lebensräume von Viren: die Oberfläche eines arktischen Gletschers. Er gehörte zu den Gebieten, in denen ein Forscherteam um Christopher Bellas von der Universität Innsbruck nach viralem Leben gesucht hat. „Wenn wir besser verstehen, wie sich Viren entwickeln und wie sie funktionieren, können wir ihre Rolle in der Umwelt und den Einfluss auf ihre Wirte vorhersagen“, sagt Bellas.
In diesem Fall liegt der Lebensraum der Viren in kleinen wassergefüllten Senken auf dem Eis, den sogenannten Kryokonit-Löchern. „Diese kleinen Schmelzwassertümpel auf Gletschern sind ideale Orte, um die Entwicklung von Viren zu untersuchen“, erklärt Bellas. „Hier leben winzige mikrobielle Gemeinschaften, die weltweit auf Gletschern zu finden sind.“ Durch genetische Vergleichsanalysen wollten die Forscher erfahren, wie und worin sich die Virenpopulationen in den Kryokoniten von Gletschern der Alpen, Grönlands und Spitzbergens unterscheiden.
Überraschende Übereinstimmung
Doch zum Erstaunen der Forscher unterschieden sich die Virenpopulationen trotz de enormen räumlichen Entfernung zwischen diesen Lebensräumen weit weniger als erwartet. „Zu unserer Überraschung waren die meisten bakterieninfizierenden Viren in der Arktis und den Alpen nahezu identisch“, sagt Bellas. Bei genauerer Betrachtung der Genome entdeckten er und sein Team allerdings docjh einige Unterschiede.
In jedem der Virengenome gab es viele kleine Abschnitte, in denen das Erbgut anderer, verwandter Viren wiederholt ein- und ausgebaut worden war. Dieser Prozess wird auch Rekombination genannt. Dadurch mischen Viren ihre Gene wie in einer Art genetischer Spielautomat durch. Dies war auch in den Virenpopulationen der Kryokonite erkennbar. „Das verleiht den Viren das Potential, sich schnell an verschiedene Wirte anzupassen“, erläutert Bellas. (Nature Communications, 2020; doi: 10.1038/s41467-020-18236-8)
Quelle: Universität Innsbruck