Visionen in der Tempelkammer: Schon lange vermuten Archäologen, dass auch die alten Ägypter psychoaktive Drogen bei ihren Ritualen nutzten. Doch erst jetzt gibt es den eindeutigen Beweis: In einem 2.200 Jahre alten ägyptischen Gefäß haben Forschende Rückstände der Inhaltsstoffe von drei verschiedenen psychotrop und halluzinogen wirkenden Pflanzen entdeckt. Reste von Traubensaft und Honig legen nahe, dass diese Extrakte als Trunk zubereitet und im Rahmen von Ritualen für den Schutzgott Bes genossen wurden.
Drogen sind keine Erfindung der Neuzeit: In den meisten alten Kulturen wurden ebenfalls schon berauschende, halluzinogene oder einschläfernde Substanzen genutzt – meist im Zusammenhang mit religiösen Praktiken. Menschen im Nahen Osten nutzten Cannabis und Opium schon vor 3.500 Jahren bei Totenritualen und als Opfergabe. In antiken Heiligtümern ließen sich Priesterinnen von austretenden Dämpfen in Trance versetzen. Und die Inkas betäubten ihre Kinderopfer mit Drogen.
Tongefäße mit Schutzdämon-Fratze
Jetzt sind auch die alten Ägypter des Drogenkonsums „überführt“. Zwar legen altägyptische Darstellungen und Texte schon länger nahe, dass beispielsweise bei Tempelritualen drogeninduzierte „prophetische Träume“ und Visionen gängig waren. Ein eindeutiger chemischer Beweis für die Nutzung psychotroper Substanzen stand jedoch noch aus. Diesen hat nun ein Team um Davide Tanasi von der University of South Florida in einem sogenannten Bes-Gefäß gefunden.
Diese Tongefäße waren von 1600 vor bis 476 nach Christus in Ägypten verbreitet und zeigten typischerweise den Kopf des Dämonen und Schutzgeistes Bes. „Bes bot Schutz vor Gefahren, wehrte Schaden ab und konnte Böses verhindern“, erklären Tanasi und seine Kollegen. Der Überlieferung zufolge stoppte Bes beispielsweise den Zorn der blutdürstigen Göttin Hathor, indem er sie mithilfe einer pflanzenbasierten, als Blut getarnten Droge einschläferte. In der Nekropole Sakkara wurde diesem Schutzgott sogar in speziellen Kammern gehuldigt.
Drogentest für Rückstände aus dem Bes-Gefäß
Doch wozu die Bes-Gefäße dienten, war bisher unklar. „Schon seit langem spekulieren Ägyptologen darüber, welche Funktion diese Gefäße hatten: Ob sie im Alltag verwendet wurden, für religiöse Zwecke oder in Ritualen“, erklärt Koautor Branko van Oppen vom Tampa Museum of Art.
Eine Antwort liefern nun Analysen eines im Museum von Tampa aufbewahrten Bes-Gefäßes aus der Zeit um 200 vor Christus. Dafür unterzog das Team von der Innenwand dieses Gefäßes abgekratzte Rückstände einer ganzen Batterie chemischer und genetischer Untersuchungen. „Zum ersten Mal konnten wir dadurch die chemischen Signaturen der Flüssigkeit identifizieren, die einst in diesem Bes-Gefäß enthalten war – das ist noch nie zuvor gelungen“, sagt Tanasi.
Extrakte von drei psychoaktiven Pflanzen
Die Analysen enthüllten: Dieses Bes-Gefäß enthielt einst Extrakte von gleich drei psychoaktiven und medizinisch wirkenden Pflanzen. Besonders reichlich vertreten waren dabei Alkaloide der Steppenraute (Peganum harmala), einer in Trockenregionen des Mittelmeerraums wachsenden Pflanze mit bekanntermaßen halluzinogener Wirkung. „Die Samen dieser Pflanze produzieren hohe Konzentrationen der Alkaloide Harmin und Hamalin, die traumartige Zustände und Visionen hervorrufen“, erklären Tanasi und sein Team.
Außerdem wiesen die Wissenschaftler Alkaloide und Flavonoide der Stern-Seerose (Nymphaea nouchali) nach, die ebenfalls eine psychotrope Wirkung hat: „Einige Arten dieser Seerosen gelten als narkotisch und beruhigend und wurden traditionell als Arzneimittel und wegen ihrer berauschenden Wirkung verwendet“, erklärt das Team. Die dritte Pflanze war die Afrikanische Spinnenpflanze (Cleome gynandra). „Diese Pflanze ist besonders interessant, denn ihre frischen Wurzeln können oral eingenommen die Wehen fördern.“
Berauschender Trunk fürs Ritual
Diese Ergebnisse belegen damit: Die Ägypter haben in diesem Bes-Gefäß pflanzenbasierte Drogen zubereitet und diese wahrscheinlich auch konsumiert. Spuren von Honig, Sesam, Süßholzwurzel und Traubensaft legen zudem nahe, dass diese Pflanzenextrakte Teil eines gesüßten Trunks waren. Wahrscheinlich sollte der Traubensaft dem Trunk eine blutähnlich rote Farbe verleihen – das würde zur Legende um Bes und Hathor passen. Gleichzeitig bestätigt dieser Drogennachweis die altägyptischen Texte und Darstellungen.
Die Funde verraten damit aber auch, wozu die einst fast allgegenwärtigen Bes-Gefäße verwendet wurden: Wahrscheinlich waren sie nicht für Alltagsgetränke gedacht, sondern wurden bei Ritualen zu Ehren des Schutzgotts genutzt. Dazu passt, dass dieser in Wandgraffiti der Bes-Kammern von Sakkara als „Geber der Träume“ oder Orakelgeber tituliert wird. „Mit unseren Analysen haben wir wissenschaftliche Beweise dafür gefunden, dass die Überlieferungen zu den Bes-Ritualen eine reale Basis hatten“, sagt Tanasi.
Es ist damit wohl kein Zufall, dass die halluzinogen wirkende Steppenraute in einigen altägyptischen Testen auch als „Pflanze des Bes“ bezeichnet wird. (Scientific Reports, 2024; doi: 10.1038/s41598-024-78721-8)
Quelle: University of South Florida