Spektakulärer Fund: Im niedersächsischen Schöningen haben Archäologen rund 300.000 Jahre alte menschliche Fußspuren entdeckt – die ältesten in Deutschland. Die einst im Schlamm eines Seeufers eingedrückten Abdrücke stammen höchstwahrscheinlich von zwei jugendlichen und einem erwachsenen Homo heidelbergensis. Zusammen mit den am Fundort erhaltenen Tierspuren geben die Abdrücke damit Einblick in die Lebensumstände und Umwelt dieser noch vor dem Neandertaler existierenden Frühmenschen.
Der ehemalige Braunkohletagebau Schöningen ist eine der bedeutendsten prähistorischen Fundstätten in Deutschland. Archäologen haben dort bereits zahlreiche Relikte aus der Zeit vor rund 300.000 Jahren entdeckt. Darunter sind zahlreiche Tierfossilien, aber auch die weltweit ältesten Wurfspeere, ein Wurfstock, verschiedene Steinwerkzeuge sowie Bearbeitungsspuren, die von Frühmenschen der Art Homo heidelbergensis stammen – dem mutmaßlichen Bindeglied zwischen dem Homo erectus und dem Neandertaler.
Spuren im fossilen Uferschlamm
Jetzt kommen weitere spannende Funde aus Schöningen hinzu. Paläontologen um Flavio Altamura von der Universität Tübingen haben dort zwei Bereiche im Südwesten des ehemaligen Tagebaugebiets näher untersucht. Dort waren schon vor einigen Jahren zahlreiche fossile Tierspuren aufgefallen, aber zuvor noch nicht systematisch erforscht worden. Seit 2018 haben nun Altamura und sein Team die über mehrere Dutzend Quadratmeter verteilten Abdrücke analysiert und kartiert.
Die fossilen Spuren sind bis heute erhalten geblieben, weil dort vor rund 300.000 Jahren das schlammige Ufer eines wenige Kilometer langen und einige hundert Meter breiten Sees lag. Tiere, die dort entlangliefen oder zum Trinken ans Wasser kamen, hinterließen in diesem Schlamm ihre Abdrücke. Später trocknete dieser Schlamm ein und wurde von Sand überdeckt, wodurch die Spuren konserviert blieben. Unter ihnen sind Abdrücke von Hirschen, Waldelefanten und Nashörnern.
Abdrücke von drei Frühmenschen
Das Entscheidende jedoch: „Unter den Abdrücken befinden sich auch drei Spuren, die mit Fußabdrücken von Homininen übereinstimmen“, berichtet Altamura. Form und Größe der Spuren legen nahe, dass diese von einem erwachsenen und zwei jugendlichen Frühmenschen stammen könnten. Mit einem Alter von etwa 300.000 Jahren seien dies die ältesten in Deutschland bekannten menschlichen Spuren, so der Archäologe.
Höchstwahrscheinlich stammen die Abdrücke vom Homo heidelbergensis, wie die Forschenden berichten. Die ersten und ältesten Knochen dieser nur in Europa vorkommenden Frühmenschenart wurden 1907 in einer Sandgrube bei Heidelberg entdeckt – daher der Name dieses Homininen. In Schöningen hat man zwar noch keine Knochen dieses Frühmenschen gefunden, dennoch sprechen Alter und Machart der Waffen und Werkzeuge dafür, dass sie von diesem Frühmenschen stammen.
„Familienausflug“ am See
Die neu entdeckten Fußspuren des Homo heidelbergensis liefern erstmals eine Art Momentaufnahme des steinzeitlichen Alltags und des sozialen Verhaltens dieser prähistorischen Menschenart. „Es handelt sich aufgrund der Spuren auch von Kindern und Jugendlichen wohl eher um einen Familienausflug als um eine Gruppe erwachsener Jagender“, erklärt Altamura.
„Unsere Funde bestätigen, dass diese ausgestorbene Menschenart sich an See- oder Flussufern mit flachem Wasser aufhielt. Das ist auch durch andere Fundstellen mit Homininen-Fußabdrücken des Unter- und Mittelpleistozäns bekannt“, so der Archäologe weiter. Der Homo heidelbergensis hielt sich vermutlich am steinzeitlichen See auf, weil dieser Wasser, Fisch und eine reiche Pflanzenwelt bot. „Je nach Jahreszeit waren rund um den See Pflanzen, Früchte, Blätter, Triebe und Pilze verfügbar“, so Altamura.
Waldelefant, Nashorn und Hirsche
Die menschlichen Fußabdrücke sind zudem von verschiedenen Tierspuren umgeben. Unter ihnen sind die Abdrücke eines Europäischen Waldelefanten – des größten Landtiers der damaligen Zeit. „Die von uns entdeckten Elefantenspuren in Schöningen erreichen eine beachtliche Länge von 55 Zentimetern“, erläutert Grabungsleiter Jordi Serangeli von der Universität Tübingen. „In einigen Fällen haben wir auch Holzfragmente in den Spurrillen gefunden, die von den Tieren in den damals weichen Boden gedrückt wurden.“
Auch von einem weiteren Großsäuger des Eiszeitalters haben die Paläontologen Fußabdrücke entdeckt: „Eine Spur stammt zudem von einem Nashorn – Stephanorhinus kirchbergensis oder Stephanorhinus hemitoechus – und ist der erste Fußabdruck dieser Art aus dem Pleistozän, der in Europa gefunden wurde“, sagt Serangeli.
Einblick in die prähistorische Lebenswelt
Zusammen mit den menschlichen Fußabdrücken und weiteren Funden geben diese Tierspuren wertvolle Einblicke in die damalige Lebenswelt dieser Region: In einem von Gräsern bewachsenen offenen Birken- und Kiefernwald lag der wenige Kilometer lange und einige hundert Meter breite See. An seinen schlammigen Ufern fanden sich Herden von Elefanten, Nashörnern und Paarhufern ein, um zu trinken oder zu baden. Inmitten dieser Szenerie bewegte sich die Kleinfamilie des Homo heidelbergensis.
„So oder so ähnlich könnte es vor 300.000 Jahren im niedersächsischen Schöningen ausgesehen haben“, sagt Flavio Altamura. Die Analyse prähistorischer Spuren habe ein enormes Potenzial für die Rekonstruktion eines zuverlässigen Bildes der prähistorischen Lebenswelt. Entsprechend wichtig sei es, diese Relikte der Vergangenheit zu erforschen und zu konservieren. Denn wenn die Fundschichten durch die natürliche Erosion einmal freigelegt sind, werden sie durch Witterungseinflüsse relativ schnell zerstört.
„Die neuen Erkenntnisse zeigen zum wiederholten Male die herausragende Bedeutung der Fundstelle Schöningen, welche bereits durch spektakuläre Funde, wie die berühmten neun Wurfspeere, eine Stoßlanze, zwei Wurfstöcke oder das nahezu vollständiges Skelett eines eurasischen Waldelefanten, bekannt ist“, kommentierte Falko Mohrs, Niedersächsischer Minister für Wissenschaft und Kultur, die neuen Entdeckungen. „Ich bin gespannt auf die Funde, die zukünftig in Schöningen geborgen werden!“. (Quaternary Science Reviews, 2023; doi: 10.1016/j.quascirev.2023.108094)
Quelle: Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen