Archäologie

Älteste Mumien Europas entdeckt

8.000 Jahre alte Gebeine aus Portugal deuten auf gezielte Mumifizierung vor der Bestattung hin

Mumie
Diese rund 8.000 Jahre alten Gebeine eines Steinzeit-Toten wurden wahrscheinlich erst mumifiziert und dann begraben. © Peyroteo-Stjerna et al/ European Journal of Archeology, CC-by-sa 4.0

Erst getrocknet, dann begraben: In Portugal könnten Archäologen den ältesten Nachweis einer gezielten Mumifizierung in Europa entdeckt haben. Es handelt sich um zwei rund 8.000 Jahre alte Tote, die von ihren steinzeitlichen Zeitgenossen in einem Grabhügel aus Muschelschalen bestattet wurden. Körperhaltung und Gelenke der Gebeine deuten darauf hin, dass sie vor ihrer Beerdigung in gehockter Haltung getrocknet worden sind – sie wurden zu Mumien gemacht.

Mumien kennen wir vor allem aus dem alten Ägypten, weil dort hochrangige Tote über Jahrtausende hinweg einbalsamiert und mumifiziert wurden. Doch sie sind nicht die einzige Kultur: Schon vor rund 7.000 Jahren mumifizierten die Angehörigen der Chinchorro-Kultur in Südamerika ihre Gestorbenen und später setzten auch die Inkas Menschenopfer gezielt den mumifizierenden Bedingungen der trockenen, kalten Andengipfel aus.

Deutlich seltener sind hingegen Belege für eine gezielte Mumifizierung in Europa. Meist wurden die in unserer Region entdeckten Mumien eher zufällig durch natürliche Umstände geschaffen, wie bei der Gletschermumie „Ötzi“ oder den Moorleichen Norddeutschlands.

Steinzeit-Tote im Muschelschalenberg

Doch jetzt belegen Funde im südportugiesischen Sado-Tal, dass es auch im prähistorischen Europa eine gezielte Mumifizierung gegeben haben könnte – und das schon in der mittleren Steinzeit. In mehreren aus Muschelschalen bestehenden Grabhügeln hatten Archäologen schon in den 1960er Jahren mehr als 100 fossile Skelette steinzeitlicher Menschen geborgen. Der größte Teil dieser Toten stammte aus der Zeit vor 8.150 bis 7.000 Jahren.

Das Problem jedoch: Weil die Aufzeichnungen der damaligen Ausgräber unvollständig waren, ließ sich bei einigen dieser Toten die ursprüngliche Position der Gebeine und auch ihr Fundort nicht mehr genau rekonstruieren. Weil nun jedoch zwei Rollen an fotografischem Filmmaterial von den damaligen Ausgrabungen wieder entdeckt wurden, ermöglichte dies dem Team um Rita Peyroteo-Stjerna von der Universität Uppsala, die Umstände der steinzeitlichen Bestattung näher zu untersuchen.

Extrem gebeugt und kaum verrutscht

Dabei entdeckten die Archäologen Überraschendes: „Während die meisten Gräber dem entsprechen, was wir für mesolithische Bestattungen erwarten, stechen zwei der Toten wegen ihrer ungewöhnlichen Körperposition heraus“, berichtet das Team. Bei beiden Toten waren die Arme und Beine so stark angewinkelt, dass zwischen den Knochen kaum Platz blieb. Solange ein Toter noch Weichgewebe besitzt, ist eine so starke Beugung jedoch anatomisch unmöglich – Muskeln und Bindegewebe wären im Weg.

Ungewöhnlich auch: Die Gelenke der Toten und die feine Knöchelchen der Hände und Füße lagen noch alle an den anatomisch korrekten Stellen. Im normalen Verwesungsprozess jedoch verlieren diese Knochen normalerweise ihren Zusammenhalt, sobald sich die Weichteile zu zersetzten beginnen. „Die kontrahierte Position aller vier Gliedmaßen und des Brustkorbs und das unerwartete Fehlen der Desartikulation der labilen Fußknochen erfordern daher eine Erklärung“, schreiben Peyroteo-Stjerna und ihre Kollegen.

Vor der Bestattung mumifiziert

Nach Ansicht des Forschungsteams sprechen diese ungewöhnlichen Merkmale dafür, dass die beiden Steinzeit-Toten nicht in „frischem“ Zustand bestattet wurden. „Unsere Analyse deutet stattdessen darauf hin, dass man die Körper der Toten vor dem Begräbnis auf eine bisher unbekannte Weise vorbereitete“, erklären die Archäologen. Sie vermuten, dass die Gebeine der Toten zunächst eingewickelt und dann längere Zeit an der Luft oder an einem Feuer getrocknet wurden, bevor man sie in den Muschelschalen-Hügeln begrub.

Mit anderen Worten: Die Toten könnten gezielt mumifiziert worden sein. „Die Manipulation des Körpers durch das Mumifizieren würde die anatomische Integrität des Skeletts erhalten und zudem sicherstellen, dass die Toten in der gewünschten Position bleiben“, erklären die Forschenden. Denn das langsam austrocknende Weichgewebe zieht sich zusammen und wird lederartig hart. Dadurch hält es selbst die Knochen der Hände und Füße in Position. Gleichzeitig schrumpfen die Muskeln so weit zusammen, dass Arme und Beine stärker angewinkelt werden können als im frischen Zustand möglich.

Vorbereitung für den Transport?

Die Toten aus dem Sado-Tal könnten damit der älteste Beleg für eine Mumifizierung von Toten in Europa darstellen – und den ersten Nachweis einer Mumifizierung aus der europäischen Steinzeit. Denn bisher sind aus Europa nur eine Handvoll Toter bekannt, deren Gebeine gezielt konserviert wurden. Die bisher ältesten davon stammten aus dem bronzezeitlichen Großbritannien. Der Fund von mittelsteinzeitlichen Mumien in Portugal legt nun nahe, dass diese Praxis möglicherweise schon früher und weiter verbreitet genutzt wurde als bisher angenommen.

Warum die Bewohner des Sado-Tals damals einige ihrer Toten mumifizierten, ist allerdings noch unklar. Eine mögliche Erklärung wäre jedoch, dass diese Toten von weiter her an diese Begräbnisorte gebracht wurden. „Eine Vorbehandlung wie die Mumifizierung würde sicherstellen, dass die Toten längere Zeit konserviert und leichter transportiert werden konnten“, erklären Peyroteo-Stjerna und ihre Kollegen.

„Gleichzeitig sollten wie die Mumifizierung nicht nur unter rein funktionellen Aspekten betrachten“, so das Team weiter. „Denn die damit einhergehende Transformation des Aussehens könnte eng mit kulturellen Vorstellungen des Todes oder sogar von einer Kontrolle über den Tod verknüpft sein“, schreiben die Archäologen. (European Journal of Archaeology, 2022; doi: 10.1017/eaa.2022.3)

Quelle: Universität Uppsala, Schwedischer Forschungsrat

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