Überraschender Fund: In den Südtiroler Alpen wurde schon vor rund 1.500 Jahren Gusseisen nach einem damals revolutionären Verfahren erzeugt. Davon zeugen Relikte von Hochöfen, Erzen und Schlacken, die Archäologen in einer spätantiken Höhensiedlung südlich von Brixen entdeckt haben. Anders als in den zuvor gängigen Rennöfen wurde Eisenerz dort unter großer Hitze erst in sprödes Gusseisen, dann in schmiedbares Eisen umgewandelt.
Mit dem Beginn der Eisenherstellung begann eine neue Ära der Menschheitsgeschichte. Denn damit verfügten unsere Vorfahren nun über ein Material, das härter und robuster war als die weiche Bronze. In der Antike nutzte man für die Reduktion des Eisenerzes zu Eisen zunächst Rennöfen, schachtförmige Lehmöfen, in denen das Eisenerz mithilfe von Holz oder Holzkohle auf bis zu 1.200 Grad erhitzt und zu metallischem Eisen reduziert wurde.
Erst im späten Mittelalter verdrängten neue Verfahren der indirekten Verhüttung in Mitteleuropa die Rennöfen. Die neuen Floß- und Hochöfen konnten kontinuierlich laufen und waren daher produktiver. Dafür erzeugten sie zunächst kohlenstoffreiches, sprödes Gusseisen, das durch nochmaliges Erhitzen entkohlt und damit schmiedbar gemacht werden musste.
Spätantike Höhensiedlung
Jetzt zeigt sich, dass diese damals revolutionäre Technik der indirekten Verhüttung in den Alpen schon weit früher genutzt wurde: Schon in der Spätantike gab es in Säben, wenige Kilometer südlich von Brixen in Südtirol, eine Eisenverhüttungs-Anlage, in der mehrere Hochöfen Gusseisen erzeugten. Schon Anfang der 1980er Jahre hatten Archäologen auf dem Burgberg von Säben eine spätantike Höhensiedlung entdeckt. Damals konzentrierte man sich jedoch primär auf die Ruinen des dortigen Bischofssitzes und den Friedhof.
Zwar förderten Ausgrabungen an der Zinnenmauer der Siedlung schon damals auch Schlacken und Eisenreste zutage. Diese wurden aber als Relikte einer Schmiede angesehen und zunächst weitgehend ignoriert. Erst ab 2019 hat ein Team um Hans-Peter Kuhnen von der Universität Mainz die damaligen Funde und Fundstätten noch einmal näher untersucht – mit spektakulärem Ergebnis.
Frühes Gusseisen aus indirektem Verfahren
Die Analysen enthüllten, dass die spätantike Höhensiedlung nicht nur eine Schmiede, sondern eine Eisenhütte mit mindestens 15 Feuerstätten und sechs verschiedenen Ofentypen umfasste. In und um die Öfen lagen Schlacken, Eisenerzbruchstücke und Roheisenklumpen. Analysen dieser Relikte ergaben, dass in mehreren dieser Schachtöfen einst Gusseisen erzeugt wurde – mit dem nördlich der Alpen erst 500 Jahre später gängigen indirekten Verfahren.
„Die Eisenhütte bietet den bislang ältesten Hinweis auf Gusseisenherstellung in Europa“, sagt Kuhnen. Die Funde auf dem Burgberg von Säben legen nahe, dass in den dortigen Schachtöfen schon vor rund 1.500 Jahren Eisenerz bis auf mehr als 1.400 Grad erhitzt und in einem Brenngang zu Gusseisen umgewandelt wurde. In rechteckigen Essen wurden dieses Gusseisen anschließend erneut erhitzt und der überschüssige Kohlenstoff ausgebrannt.
Damit markierte die Säbener Eisenhütte den Beginn eines neuen Zeitalters. Denn ihre leistungsfähigeren Hochöfen konnten anders als die alten Rennöfen dauerhaft laufen und auch Erze mit geringerem Eisengehalt verhütten. Das machte die Eisengewinnung günstiger und deutlich ertragreicher.
Warum gerade auf dem Burgberg?
Rätselhaft jedoch: „Warum die Säbener Eisenschmelzer im 4. oder 5. Jahrhundert ihre moderne Eisenhütte ausgerechnet auf dem Säbener Burgberg errichteten, obwohl es dort weder verhüttbare Eisenerze noch ein Fließgewässer zum Antrieb eines mechanischen Gebläses gab, ist allein aus dem Grabungsbefund heraus nicht zu erklären“, schreibt Kuhnen. Zwar lag ein mittelalterliches Erzabbaugebiet in der Nähe, dort wurde aber in der Spätantike noch kein Eisenerz abgebaut. Das Erz für die Säbener Öfen muss daher aus der weiteren Umgebung herangeschafft worden sein.
Ungewöhnlich ist auch die Lage des Hüttenwerks auf einem Berg. Denn um die Blasebalge für die stetige Luftzufuhr der Öfen anzutreiben, fehlte es dort an nutzbarer Wasserkraft. Allerdings könnten für den Betrieb der Pumpen sogenannte Göpel eingesetzt worden sein, bei denen im Kreis laufende Tiere für den Antrieb sorgten, wie Kohnen erklärt. In einem Raum der Anlage wurden Löcher entdeckt, die auf ein solches Göpelwerk hindeuten könnten.
Ausgehend von ihren bisherigen Erkenntnissen vermuten die Archäologen, dass die Wahl des Burgbergs für die Eisenhütte wohl keine praktischen, sondern politische Gründe hatte: „Wahrscheinlich bestimmten immaterielle Faktoren wie Grundbesitz, Holzeinschlags- und Schürfrechte oder Privilegien die Standortwahl“, so Kuhnen. (Beiträge zur Mittelalterarchäologie in Österreich 38, 2022)
Quelle: Johannes Gutenberg-Universität Mainz