Mysteriöse Zeichen: In Norwegen haben Archäologen den bisher ältesten Runenstein der Welt gefunden. Die Steinplatte lag in einem Gräberfeld aus der Zeit vor 2.000 bis 1.750 Jahren und stammt damit aus den Anfängen der Schrift in Skandinavien. Die Bedeutung der im Stein eingeritzten Zeichen ist allerdings noch rätselhaft. Neben einem möglichen Namen zieren mehrere Runenpassagen mit unklarer Bedeutung den Fund.
Während die Kulturen im Mittelmeerraum schon seit der Bronzezeit Schriften nutzten, entwickelte sich das Schreiben in Mittel- und Nordeuropa erst sehr spät. Erst zur Zeit der Römer begannen nordische Kulturen, eigene Runenschriften zu entwickeln und zu nutzen, die meisten Funde stammen jedoch aus der Wikingerzeit um 1.000 nach Christus. Das nordische Runenalphabet, nach seinen ersten drei Buchstaben als „Futhark“ bezeichnet, findet sich meist in Form von Ritzungen auf Feldwänden und Steinen.
Wann genau die nordischen Kulturen begannen, diese Runen zu nutzen, ist jedoch aus Mangel an Funden unklar. In Norwegen sind bisher nur rund 30 Runensteine bekannt, die aus der Zeit vor dem Jahr 550 stammen.
Steinplatte mit Runen im Eisenzeit-Grab
Jetzt kommt ein weiterer hinzu – der wahrscheinlich älteste von allen. Entdeckt haben ihn Archäologen des Kulturhistorischen Museums in Oslo, als sie im Vorfeld eines Autobahnbaus in Ostnorwegen eine Rettungsgrabung durchführten. In dem Gebiet am südlich von Hønefoss gelegenen Tyrifjorden-See wurden schon zuvor zahlreiche archäologische Relikte entdeckt, unter anderem ein Wikingerhelm und mehrere Gräber.
Bei den Ausgrabungen im Jahr 2021 stießen die Archäologen auf mehrere Feuerbestattungsgruben – Gräber, in denen die Überreste eines verbrannten Toten zusammen mit Grabbeigaben bestattet worden waren. In einem dieser Gräber entdeckten sie eine 31 mal 32 Zentimeter große Steinplatte, in die zahlreiche Runen eingeritzt waren. Datierungen der Knochen und Grabbeigaben legen nahe, dass Grab und Runenstein aus der Zeit zwischen 25 und 250 nach Christus stammen.
Ältester Runenstein Skandinaviens
Damit stammt dieser Runenstein aus der Frühzeit der nordischen Schrift – er ist der älteste, der je gefunden wurde. „Einen solchen Runenfund zu machen, ist einzigartig und der Traum jedes Runenforschers“, sagt Kristel Zilmer vom Kulturhistorischen Museum. „Es ist ein echtes Highlight, weil sich dieser einzigartige Fund von allen bisher bekannten Runensteinen unterscheidet.“
Der „Svingerudsteinen“ getaufte Runenstein ist nicht nur der älteste seiner Art, sondern auch der einzige aus der Frühzeit der nordischen Schrift, der in einem archäologischen Kontext entdeckt wurde. Die Runenforscherin ist zurzeit dabei, die Sandsteinplatte und ihre Inschriften zu untersuchen und die Zeichen zu entziffern. Klar ist, dass die in den Stein eingeritzten Runen eine sehr frühe Form der nordischen Sprache und Schrift repräsentieren. Das mache es schwer, ihre Bedeutung zu entschlüsseln.
Rätsel um „idiberug“
„Der Stein trägt mehrere Inschriften“, berichtet Zilmer. „Einige sind in Zeilen aufgereiht, die ein Raster bilden, es gibt aber auch kleinere im Zickzack angeordnete Figuren und weitere Motive. Nicht alle Inschriften scheinen dabei eine linguistische Bedeutung zu haben.“ Die Forscherin vermutet, dass einige der Ritzungen von Schreibanfängern stammen könnten, von Personen, die noch wenig Erfahrung mit der Runenschrift hatten und herumprobieren mussten.
Ein Runenwort sticht allerdings deutlich hervor: Auf der Vorderseite der Steinplatte ist groß und deutlich die Buchstabenfolge „idiberug“ eingeritzt – möglicherweise der Name des oder der in diesem Grab bestatteten Toten. „Dieser Text könnte sich auf eine Frau namens Idibera beziehen. Die Inschrift würde dann ‚Für Idibera‘ lauten“, erklärt Zilmer. Möglich sei aber auch, dass dies vom Namen Idibergu oder Idiberga abgeleitet sei oder vielleicht dem Clannamen Idiberung.
Noch ist die Entschlüsselung der Runen auf dem Svingerudsteinen nicht abgeschlossen. Die Runenforscherin Zilmer hofft aber, dass seine Zeichen noch mehr Einblicke in Schrift und Lebenswelt der nordischen Kultur vor fast 2.000 Jahren geben werden.
Quelle: Kulturhistorisk Museum Universitetet Oslo