Verborgener Schatz: Unter dem 60 Meter großen Grabhügel von Herlaugshaugen in Mittelnorwegen verbirgt sich das älteste Schiffsgrab Skandinaviens. Es stammt aus dem Jahr 700 und damit aus der Zeit vor Beginn der Wikinger-Ära, wie Datierungen von Holzresten und Schiffsnägeln jetzt ergeben haben. Der Überlieferung nach wurde in diesem Grabhügel König Herlaug begraben, der lieber starb als sich dem neuen Herrscher Norwegens, Harald Schönhaar, zu unterwerfen.
Die enge Verbundenheit der Skandinavier und insbesondere der Wikinger mit dem Meer zeigte sich auch in der Bestattung ihrer hochrangigen Toten: Sie wurden mitsamt ihrer Waffen und reicher Grabbeigaben in ein Langschiff gelegt, das dann von einem Grabhügel überdeckt wurde. In Schweden und Norwegen wurden in den letzten Jahrzehnten schon zahlreiche solcher Schiffsgräber aus der Wikingerzeit entdeckt, darunter sogar ein ungewöhnliches, „doppeltes“ Schiffsgrab.
Doch wann hat die Tradition der skandinavischen Schiffsbestattungen begonnen? Auch wenn die meisten der heute bekannten Schiffsgräber aus der Wikinger-Ära stammen, legen einige Funde solcher Gräber in Schweden und ein Schiffsgrab im südenglischen Sutton Hoo nahe, dass diese Bestattungspraxis schon vor der Zeit der Wikinger üblich, wenn auch selten war.
Das Grab eines Königs
Jetzt wirft ein Grabhügel auf der mittelnorwegischen Insel Leka neues Licht auf die Anfänge der Schiffsgräber. Schon im 18. Jahrhundert sorgte der rund 60 bis 70 Meter breite und damals noch zwölf Meter hohe Hügel für Aufsehen. Der Überlieferung nach sollte dort der König Herlaug bestattet worden sein, ein regionaler Herrscher aus dem Frühmittelalter. Er soll damals lieber gestorben sein als sich König Harald Schönhaar zu unterwerfen – dem ersten König Norwegens.
Ausgrabungen vor gut 200 Jahren hatten im Herlaugshaugen bereits Reste einer Mauer, Eisennägel, einen Bronzetopf, Tierknochen und das sitzende Skelett eines Menschen mitsamt Schwert gefunden. „Leider sind diese Funde in den frühen 1920er Jahren verschwunden“, berichtet der Archäologen Geir Grønnesby von der Universität für Technik und Naturwissenschaften in Trondheim (NTNU). „Das Skelett wurde zwar noch einige Zeit in der Trondheimer Kathedrale als König Herlaug ausgestellt, aber niemand weiß, wo es geblieben ist.“
Schiffsnägel aus der Merowingerzeit
Unklar blieb bislang auch, ob dieser königliche Grabhügel einst auch ein Schiffgrab war. Das hat sich jedoch durch neue Funde im Sommer 2023 geändert. Mithilfe von Metalldetektoren und neuen Ausgrabungen haben die Archäologen im Herlaugshaugen mehrere große Eisennägel entdeckt, die nur von einem Schiff stammen konnten. „Wir können zwar nicht sagen, wie groß dieses Schiff genau war, aber die Größe der Nägel verrät uns, dass es in diesem Hügel einst ein Schiff gab“, erklärt Grønnesby.
Jetzt haben Datierungen geklärt, von wann dieses Schiffsgrab stammt. „Der Grabhügel wurde um das Jahr 700 errichtet“, sagt Grønnesby. „Das Schiffsgrab stammt aus der Merowingerzeit und ist deutlich älter als die frühesten Schiffsgräber der Wikinger. Das ist bedeutend, denn es verschiebt die Tradition der Schiffsbegräbnisse weiter zurück in die Vergangenheit.“ Die Seefahrt und der Schiffsbau müssen demnach für die Menschen in dieser Küstenregion schon vor Beginn der Wikingerzeit eine wichtige Rolle gespielt haben.
Verbindungen nach Schweden und England
Die Datierung bedeutet auch: Herlaugshaugen ist das älteste bekannte Schiffsgrab in ganz Skandinavien. Zwar gibt es in Vendel und Valsgärde in Schweden ebenfalls zwei Schiffsgräber vom Ende der Merowingerzeit, diese entstanden aber etwas später als der Herlaugshaugen, wie die Forschenden erklären. Zeitlich ordnen sie das neu identifizierte Schiffsgrab eher der Periode zu, in der auch das berühmte Schiffsgrab im englischen Sutton Hoo entstand – das älteste Schiffsgrab der Welt.
„Die spannende Frage ist daher, ob das Schiffsgrab im Herlaugshaugen mit den Grabhügeln in Vendel, Valsgärde und Sutton Hoo in Verbindung steht oder ob es sich um ein unabhängig entstandenes Phänomen handelt“, sagt Grønnesby. „Das ist etwas, das wir nun näher erforschen wollen.“
Gibt es in Namdalen noch mehr verborgene Schiffsgräber?
Interessant auch: Herlaugshaugen ist nicht der einzige ungewöhnlich große Grabhügel in dieser Küstenregion Norwegens. In einem von der Küste ins Landesinnere ziehenden Tal gibt es noch weitere davon. „Tatsächlich liegen rund zehn Prozent aller großen Grabhügel Norwegens in Namdalen“, sagt Lars Forseth von der Regionalbehörde Trøndelag. „Wir wissen aber nicht, was diese mehr als 37 Meter großen Hügel enthalten, weil noch kaum einer davon näher untersucht worden ist.“
Die Archäologen halten es daher für durchaus möglich, dass sich unter diesen Erhebungen noch weitere Schiffsgräber aus der späten Merowingerzeit verbergen. „Ein solcher Grabhügel ist ein Symbol von Macht und Reichtum, doch dieser Wohlstand kann in dieser Gegend nicht bloß von der Landwirtschaft gekommen sein“, sagt Forseth. Stattdessen liege nahe, dass diese Region schon vor gut 1.300 Jahren vom Seehandel und der Seefahrt profitierte.
Die Lage der Insel Leka und des Namdalen nahe an den Schifffahrtsrouten der damaligen Zeit könnte demnach den Reichtum auch von regionalen Herrschern wie Herlaug hervorgebracht haben. „Der Gütertransport entlang solcher Routen ist einer der Schlüssel, um die frühen Entwicklungen im Schiffbau und die Anfänge der Wikingerzeit zu verstehen“, so Forseth.
Quelle: NTNU / SINTEF