Geheime Rezepte: Was trieb der Renaissance-Astronom Tycho Brahe in seinem geheimen Alchemie-Labor? Erste Hinweise darauf liefern nun erstmals fünf Scherben aus Brahes schon vor gut 400 Jahren zerstörten Experimentier-Keller. Forscher haben die Rückstände auf diesen Scherben analysiert und dabei auffällige Anreicherungen von Gold, Blei, Quecksilber und weiteren Metallen entdeckt. Besonders überraschend war jedoch der Fund eines damals noch gar nicht bekannten Elements.
Der 1546 geborene Astronom Tycho Brahe war einer der einflussreichsten Gelehrten seiner Zeit – noch Jahrhunderte später prägten seine Erkenntnisse das astronomische Weltbild. Brahe legte den Grundstein für die Methodik der systematischen Himmelsbeobachtung, entwickelte neue Instrumente und zweifelte schon früh am damals strikt geozentrischen Weltbild. Seine Beobachtung einer Supernova im Jahr 1572 widerlegte zudem die Vorstellung eines ewig unveränderlichen Fixsternhimmels – eine revolutionäre Erkenntnis.
Himmelskörper und chemische Elemente
Doch Tycho Brahe widmete sich auch einer anderen, geheimen Wissenschaft – der Alchemie. „Es mag seltsam erscheinen, dass sich Tycho Brahe auch mit Alchemie befasste, aber von seiner Weltsicht ausgehend macht das durchaus Sinn“, erklärt Seniorautor Poul Grinder-Hansen vom dänischen Nationalmuseum. „Denn Brahe glaubte, dass es Verbindungen zwischen Himmelskörpern, irdischen Substanzen und den Organen des menschlichen Körpers gab.“
Brahes Vorstellung nach war beispielsweise das Element Gold mit der Sonne, aber auch dem menschlichen Herzen verknüpft. Der Mond war hingegen mit Silber und dem Gehirn verbunden, die Venus mit Kupfer und den Nieren und der Saturn mit Blei und der Milz. Der Planet Merkur wiederum stand mit Quecksilber und den Lungen in Beziehung. „Auch Minerale und Edelsteine konnten in dieses System integriert werden“, erklärt Grinder-Hansen. „Smaragde beispielsweise waren dem Merkur zugeordnet.“
Alchemie-Labor im Keller
Diese Vorstellungen flossen wahrscheinlich auch in Tycho Brahes alchemistische Experimente ein. Allerdings gehörte er nicht zu den Alchemisten, die versuchten, aus Blei Gold zu machen – Brahe lehnte diesen Bereich der Alchemie ab, wie aus seinen Schriften hervorgeht. Seine chemischen Experimente zielten stattdessen eher darauf ab, Arzneien herzustellen. Für seinen letzten Förderer, Kaiser Rudolf II., erstellte er beispielsweise eine Pest-Arznei.
Doch welche Versuche Brahe im geheimen Kellerlabor seines Wohnsitzes Uraniborg auf der Öresund-Insel Ven durchführte und welche Rezepte hinter seinen alchemistischen Arzneien steckten, behielt er für sich. Auch sein geheimes Kellerlabor blieb nicht erhalten, weil Uraniborg schon im Jahr 1601 vollständig zerstört wurde. Aus historischen Quellen und den Ruinen geht jedoch hervor, dass es in diesem Labor mindestens 16 Öfen und große Destillationsapparate gegeben haben muss. Was genau der Gelehrte damit jedoch erhitzte, ist bis heute unbekannt.
Fünf Scherben und auffällige Elementhäufungen
Jetzt liefern fünf unscheinbare Scherben neue Einblicke in Tycho Brahes alchemistische Studien. Entdeckt wurden diese Fundstücke – vier Glasscherben und ein Keramikfragment – schon Ende der 1980er Jahre bei Ausgrabungen im ehemaligen Garten von Uraniborg. Schon damals vermuteten Archäologen, dass diese Scherben aus Tycho Brahes geheimem Alchemie-Labor stammen könnten. Ein Team um Grinder-Hansen und dem Archäometrie-Experten Kaare Rasmussen von der Universität von Süddänemark hat nun diese Scherben auf mögliche chemische Rückstände hin untersucht.
Tatsächlich wurde das Team fündig: Auf vier der Scherben zeigten die Analysen Ablagerungen verschiedenster Elemente, teilweise in ungewöhnlicher Menge. „Besonders spannend sind die Elemente, die wir in höheren Konzentrationen gefunden haben als erwartet“, sagt Rasmussen. „Denn ihre Anreichung gibt uns Einblicke in die Substanzen, die Tycho Brahe in seinem Laboratorium benutzte.“ Zu diesen Elementen gehören Nickel, Kupfer, Zinn und Zink, aber auch Blei, Quecksilber, Antimon und Gold.
Das Mysterium des Wolframs
Ein weiteres Element sorgte jedoch für Überraschung: Wolfram. „Dieses Element war zu Brahes Zeit noch nicht entdeckt – das ist sehr mysteriös“, sagt Rasmussen. Wolfram wurde erst 1781 – mehr als 180 Jahre nach der Zerstörung von Brahes Alchemie-Labor – vom deutsch-schwedischen Chemiker Carl Willhelm Scheele erstmals beschrieben. Als reines Element isoliert wurde es erst 1783. „Wie aber lässt sich die Präsenz dieses Elements auf einer Scherbe aus Tycho Brahes Alchemie-Labor erklären?“, so Rasmussen.
Eine mögliche Erklärung wäre, dass Brahe unwissentlich mit einem Mineral experimentierte, das von Natur aus Wolfram enthielt. Durch seine Versuche könnte der Gelehrte das Element dann quasi „aus Versehen“ und ohne es zu ahnen aus dem Mineral isoliert haben. Doch auch eine andere Möglichkeit wäre denkbar, wie Rasmussen erklärt. Dies geht auf eine Beobachtung des deutschen Gelehrten Georg Agricola zurück, die dieser in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts machte – vor Brahes Zeit.
Wollte Brahe Agricolas Rätsel lösen?
Der Mineraloge Agricola hatte damals bei einigen Zinnerzen aus Sachsen eine seltsame Eigenheit bemerkt: Sie enthielten einen Bestandteil, der die Zinngewinnung aus dem Erz erschwerte. Diese seltsame Substanz verhinderte die Abtrennung des Metalls aus der Schlacke und schien das Zinnerz gewissermaßen aufzuzehren. Agricola taufte diesen Bestandteil daher Wolfram – nach dem Raubtier und dem mittelhochdeutschen Begriff für Ruß oder Dreck. Was sich hinter dieser geheimnisvollen Substanz verbarg, erkannte Agricola allerdings nicht.
„Vielleicht hatte Tycho Brahe davon gehört und wusste daher von der Existenz dieses mysteriösen Wolframs“, sagt Rasmussen. Möglicherweise führte Brahe in seinem Alchemie-Labor sogar Versuche durch, mit denen er die wahre Natur dieser Substanz ergründen wollte. „Aber das ist nur eine rein theoretische Annahme“, betont der Forscher. „Sie basiert nicht auf unseren Analysen oder anderen direkten Erkenntnissen unserer Untersuchungen.“
Damit geben die Scherben aus Tycho Brahes Labor einerseits zwar spannende Einblicke in seine Alchemie-Werkstatt, sie werfen aber auch neue Fragen auf. (Heritage Science, 2024; doi: 10.1186/s40494-024-01301-6)
Quelle: University of Southern Denmark