Cold Case: Archäologen haben die Todesursache von zwei Männern und einer Frau geklärt, die vor rund 1.000 Jahren in den Anden starben und zur Mumie wurden. Computertomografien der Andenmumien enthüllten, dass die beiden Männer Opfer brutaler Gewalt wurden: Einer von ihnen erlitt durch einen Schlag mehrere Schädelbrüche und wurde dann erstochen, der zweite wurde zu Tode geprügelt. Nur die weibliche Mumie zeigte keine Anzeichen einer Gewalteinwirkung.
Ob die Ruinen von Teotihuacan, die mysteriösen Nazca-Linien in Peru oder das sagenhafte Goldfloß der Muisca: Über die Schöpfer dieser Relikte präkolumbischer Kulturen in Südamerika ist bis heute wenig bekannt. Archäologische Funde aus den Kulturen der Maya und Inka legen aber nahe, dass die Menschen damals wenig zimperlich waren: Sie führten grausame Kriege, zerstückelten ihre Feinde und brachten ihren Göttern auch Menschenopfer dar.
Andenmumien als Zeitzeugen
Besonders spannende Zeugnisse des Lebens und Sterbens im alten Südamerika sind dabei Mumien: Menschen, die nach ihrem Tod durch das trockene Klima der Andenregion mumifiziert wurden und dadurch mitsamt ihrer Haut, Haare, und anderer Weichteile erhalten geblieben sind. In einigen Kulturen wie den Chinchorro und den Inka wurden die Toten absichtlich so bestattet, dass sie zu Mumien wurden, in anderen geschah dies eher zufällig.
Das Interessante daran: Weil die Körpergewebe solcher Mumien zwar getrocknet, aber weitgehend erhalten sind, können Archäologen die Todesursache besser ermitteln als bei bloßen Skeletten. Anna-Maria Begerock vom Zentrum für Mumienforschung in Madrid und ihre Kollegen haben diese Chance genutzt und drei präkolumbische Mumien aus Peru und Chile einer virtuellen Autopsie unterzogen – mithilfe eines hochauflösenden Computertomografen.
CT-Autopsie bei drei Mumien
Die erste, heute in Marburg aufbewahrte Mumie stammt aus einem rund tausend Jahre alten Grab im Norden Chiles. Der Tote gehörte der Arica-Kultur an und wurde wie damals üblich in Hockstellung und mit einer Tunika bedeckt bestattet. Grabbeigaben deuten darauf hin, dass der Mann zu Lebzeiten ein Fischer war. „Es gibt keine Hinweise darauf, dass dieser Mann ein Krieger war oder in Zusammenhang mit einem Ritual bestattet wurde“, berichten die Forschenden.
Die anderen beiden Mumien – ein Mann und eine Frau – wurden im Südwesten Perus bestattet und gehören heute zu einer Sammlung im schweizerischen Délémont. Beide Toten lagen ausgestreckt und auf dem Rücken im Grab, abweichend von der sonst in präkolumbischen Kulturen üblichen Hockstellung. Die Mumien tagen Kleidung aus Lama- oder Alpakahaar und dem Fell von Vizchachas – Chinchilla-ähnlichen Nagetieren. Die männliche Mumie stammt aus der Zeit um 950, die weibliche ist fast 300 Jahre jünger.
Bei allen drei Mumien war bisher unbekannt, wie sie gestorben sind. Auch ihr Alter und ihr Gesundheitszustand zum Zeitpunkt des Todes konnten nicht bestimmt werden. Das hat sich nun geändert.
Marburg-Mann: Geschlagen und erstochen
Die CT-Aufnahmen enthüllten: Beide Männer starben unter äußerst brutalen Umständen und durch exzessive Gewalteinwirkung. Bei der Marburg-Mumie – einem zum Todeszeitpunkt erst 20 bis 25 Jahre alten Mann – war die Todesursache der Angriff durch einen oder zwei Täter. Der erste Angreifer schlug dem Opfer mit voller Wucht erst ins Gesicht, dann auf den Kopf, wie Brüche an verschiedenen Stellen des Schädels belegen.
„Dann stach ein zweiter Angreifer dem Opfer in den oberen Rücken“, berichten die Archäologen. „Alternativ könnte es auch derselbe Angreifer gewesen sein, der ihm erst von der rechten Seite her den Kopf einschlug und ihn dann von hinten erstach.“ Der Stich mit der schmalen, dolchähnlichen Waffe drang in die Lunge ein und könnte auch die Aorta verletzt haben. „Durch den massiven Bluterverlust muss der Marburg-Mann innerhalb weniger Sekunden das Bewusstsein verloren haben. Er starb ohne jede Abwehrreaktion“, so das Team.
Die Mumie von Délémont: Gewaltopfer schon vor dem Tod
Noch stärker von Gewalt geprägt waren Leben und Tod der zweiten männlichen Mumie: Zahlreiche Spuren halb verheilter, alter Verletzungen belegen, dass dieser 40 bis 60 Jahre alte Mann schon vor seinem Tod immer wieder Opfer brutaler Schläge und Angriffe wurde. Er erlitt mehrere Rippen- und Schädelbrüche und auch sein Gesicht war durch Verletzungen stark entstellt. „Das spricht für wiederkehrende Traumata“, so die Archäologen.
Auch die Todesursache dieses Mannes geht klar auf Gewalteinwirkung zurück – auch er erlitt im Todeskampf gleich mehrere tödliche Verletzungen: Ein heftiger Schlag auf die linke Schläfe brach ihm den Schädel. Dieser oder ein zweiter Schlag könnte zudem so kräftig gewesen sein, dass seine Wucht zu einem Bruch der Halswirbelsäule führte: „Die deutliche Verschiebung der beiden Wirbelkörper von C3/C4 ist schon für sich genommen tödlich und hatte den sofortigen Tod zur Folge“, berichten Begerock und ihre Kollegen.
Im Gegensatz dazu zeigte die weibliche Mumie als einzige keine Verletzungen oder andere Anzeichen für einen gewaltsamen Tod.
Aufschluss über Gewaltniveau alter Kulturen
Nach Ansicht des Forschungsteams bestätigen diese Ergebnisse, dass es auch in der Andenregion vor rund tausend Jahren reichlich Gewalt gab. Zuvor hatten Studien an Skeletten aus dieser Zeit und Gegend bereits ergeben, dass im Schnitt 21 Prozent der männlichen Toten Spuren von Gewalteinwirkung trugen. Aber nicht alle Verletzungen betreffen den Knochen und bleiben so an Gebeinen sichtbar. Hier kann die Untersuchung von Mumien de Lücken schließen.
„Die Verletzungen, die wir bei den Mumien gefunden haben, wären teilweise nicht erkennbar gewesen, wenn wir von diesen Toten nur die Gebeine hätten“, sagt Koautor Andreas Nerlich von der München Klinik in Bogenhausen. „Moderne CT-Scans mit der Möglichkeit von 3D-Rekonstruktionen eröffnen uns einzigartige Einblicke in den Körper.“ (Frontiers in Medicine, 2022; doi: 10.3389/fmed.2022.962793)
Quelle: Frontiers