Knapp verpasst: Vor rund 2.000 Jahren suchten die Römer an der Lahn nach Silbererz – und scheiterten. Sie bauten zwar zwei Militärlager und ein Stollensystem, gaben diese Anlagen aber schon wenige Jahre später wieder auf, wie archäologische Ausgrabungen enthüllen. Ironie des Schicksals: Die Römer verpassten das Silbererz nur knapp. Nur wenige Meter unter dem römischen Stollen lag eine reiche Silberader, die erst hunderte Jahre später entdeckt und ausgebeutet wurde.
Die ersten Spuren römischer Anlagen entdeckte 2016 ein Jäger von seinem Hochsitz im Lahngebiet bei Bad Ems: Er bemerkte auffällige Farbunterschiede in einem Getreidefeld, die auf Strukturen unter der Oberfläche hindeuteten. Daraufhin begannen Archäologen unter Leitung von Markus Scholz von der Goethe-Universität Frankfurt das Areal näher zu untersuchen – unter anderem durch Drohnenkartierung, Magnetmessungen und Ausgrabungen.
Römisches Militärlager blieb unfertig
Tatsächlich wurden Archäologen fündig: Die Verfärbung stammte von einem Doppelgraben, der vor fast 2.000 Jahren ein römisches Militärlager umgab. Das Lager war acht Hektar groß und von rund 40 Wachtürmen aus Holz umgeben. Typischerweise bot ein solches Militärlager Platz für rund 3.000 Soldaten. Merkwürdig nur: Zwar standen auf dem Gelände ein festes Gebäude, ein Speicher und ein Magazin, doch Unterkünfte für die Soldaten fehlten – offensichtlich mussten sie in Zelten schlafen. Seltsam auch: Brandspuren zeigen, dass das Lager nach wenigen Jahren niedergebrannt worden war.
Aber warum? Stand dieses Lager möglicherweise in Zusammenhang mit einer weiteren, rund zwei Kilometer entfernten römischen Anlage? Dort, am „Blöskopf“, hatte man schon im Jahr 1897 römische Mauerfundamente, Brandreste und Metallschlacken gefunden. Archäologen nahmen damals an, dass es sich um eine Stätte zur Erzverarbeitung, eine Art Hüttenwerk, handelte. Denn in der Gegend wurde früher an mehreren Stellen Silbererz gefunden und abgebaut.
Auch das zweite Lager wurde niedergebrannt
Wie nun aktuelle Ausgrabungen belegen, lagen die Archäologen des 19. Jahrhunderts falsch: Bei der römischen Anlage am Blöskopf handelte es sich nicht um ein Erzverarbeitungswerk, sondern um ein zweites, nur rund 40 Mann fassendes Militärlager. Der vermeintliche Ofen war ein Wachturm und auch eine hölzerne Abwehrkonstruktion aus zugespitzten Holzpfählen zeugt vom militärischen Charakter der Anlage, wie ein Team um Scholz‘ Mitarbeiter Frederic Auth entdeckt hat.
Die Hoffnung der Römer auf einen lukrativen Edelmetallabbau in dieser Gegend könnte die Anwesenheit der Militärlager erklären: Man wollte sich gegen schlagartige Überfälle zur Wehr setzen können, die angesichts des wertvollen Rohstoffes nicht unwahrscheinlich waren. Das Merkwürdige nur: Auch dieses Lager wurde wenige Jahre nach seiner Errichtung wieder aufgegeben und niedergebrannt.
Tacitus liefert Antworten
Auf der Suche nach einer Erklärung, durchforsteten die Wissenschaftler die Aufzeichnungen des römischen Geschichtsschreibers Tacitus nach Hinweisen. Wie sich zeigte, lieferte Tacitus tatsächlich einen möglichen Grund: Er beschreibt, wie unter dem römischen Statthalter Curtius Rufus um 47 nach Christus der Versuch gescheitert sei, in der Gegend Silbererz abzubauen. Die Ausbeute sei zu gering gewesen.
Tatsächlich entdeckte das Archäologenteam bei weiteren Ausgrabungen in der Nähe der Lager ein altes Schacht-Stollen-System aus römischer Zeit. Der Stollen führte Gesteinsschichten, die kaum Silbererz enthielten. Laut Tacitus waren die zum Stollengraben verdonnerten Soldaten von der schweren, wenig aussichtsreichen Arbeit damals so erbost, dass sie deswegen an Kaiser Claudius in Rom schrieben.
Knapp am Silber vorbei
Ironie des Schicksals jedoch: Hätten die Römer ihren Stollen damals nur wenige Meter tiefer angelegt, wären sie auf eine reiche Silbererzader gestoßen. Dieser sogenannte Bad Emser Gangzug enthielt genug Silber, um 200 Jahre lang einen lukrativen Abbau zu sichern. Er wurde jedoch erst Jahrhunderte nach dem Abzug der Römer entdeckt und ausgebeutet. Hätten die Römer gewusst, wie knapp sie daneben lagen, hätten sie vielleicht nicht so schnell aufgegeben.
Quelle: Goethe-Universität Frankfurt