Archäologie

Darf man unersetzliche Fossilien in All schicken?

Streit um Mitnahme von menschlichen Fossilien bei suborbitalem Virgin-Galactic-Flug

Australopithecus sediba und Homo naledi
Ein Schlüsselbein des Australopithecus sediba (links) und ein Daumenknochen des Homo naledi wurden mit einem privaten Suborbitalflug ins All geschickt – dies löst nun heftige Diskussionen aus. © © Archaeomoonwalker/CC-by-sa 3.0; Lee Berger et al./ Nature Communications, doi: 10.1038/ncomms9431CC-by 4.0

Die ungewöhnliche PR-Aktion eines privaten Raumfahrtunternehmens sorgt für heftige Kritik und Diskussionen. Denn vor einer Woche brachte eine Raumkapsel von Virgin Galactic nicht nur sechs Menschen bis an den Rand des Weltraums, sondern auch zwei einzigartige Fossilien: das Schlüsselbein des Vormenschen Australopithecus sediba und den Fingerknochen eines Homo naledi. Diese unersetzlichen Zeugnisse der Menschheitsgeschichte wurden damit einem unnötigen und zu großen Risiko ausgesetzt, kritisieren nun Paläoanthropologen und Archäologen.

Australopithecus sediba und Homo naledi gehören zu den spannendsten und rätselhaftesten Vertretern der Menschheitsgeschichte. Denn beide Spezies zeigen eine einzigartige Mischung archaischer und fortschrittlicher Merkmale und sind – beide auf ihre Weise – wichtige Bindeglieder auf dem Weg zum modernen Menschen. Der Vormensch Australopithecus sediba lebte vor rund zwei Millionen Jahren im südlichen Afrika. Der vor 250.000 Jahren im gleichen Gebiet lebende Homo naledi gilt als früher Vertreter der Gattung Homo. Allerdings ist für beide Arten strittig, welche Position sie im Menschenstammbaum einnehmen – entsprechend wichtig ist die weitere Analyse der Fossilien.

Australopithecus sediba
Schädel des in Südafrika entdeckten Vormenschen Australopithcus sediba. © Brett Eloff/ CC-by 4.0

Zwei Fossilien auf einem Suborbital-Flug

Jetzt sind zwei Fossilien dieser beiden Menschenarten an den Rand des Weltraums geflogen. Am Freitag, dem 8. September 2023, nahm sie der südafrikanische Unternehmer Tim Nash mit auf seinen Flug mit dem privaten Raumfahrtunternehmen Virgin Galactic. Die Raumkapsel VSS Unity wurde vom Trägerflugzeug bis auf eine Höhe von rund 14 Kilometer gebracht, wo sie dann ihre Düsen zündete und für einen kurzen Flug bis auf die suborbitale Höhe von rund 88 Kilometer aufstieg.

Die beiden Fossilien – das Schlüsselbein des 2008 entdeckten Typusexemplars des Australopithecus sediba und ein Daumenknochen des Homo naledi – waren für den Transport in einem speziellen Karbonfaserbehälter verpackt. Weil diese Knochen zum Welterbe der Menschheit gehören, erforderte die Aktion eine Genehmigung der South African Heritage Resources Agency (SAHRA) in Kapstadt und der Universität von Witwatersrand, die die Funde verwaltet.

Aktion mit symbolischer Bedeutung…

„Die Reise dieser Fossilien ins All repräsentiert die Anerkennung der Menschheit für die Beiträge aller unserer Vorfahren und urzeitlichen Verwandten“, sagt der Paläoanthropologe Lee Berger von der Universität Witwatersrand, dessen Sohn Matthew den Knochen des Australopithecus sediba als Kind gefunden hat. „Ohne ihre Beiträge zur Entwicklung unseres modernen Geistes wären solche außerordentlichen Leistungen wie die Raumfahrt nie passiert.“

Die südafrikanischen Forscher sahen in diesem Flug der Fossilien eine Chance, die Aufmerksamkeit auf Südafrika als eine der Wiegen der Menschheit zu lenken. „Die Fossilien wurden sorgfältig ausgewählt, nicht nur aufgrund ihrer symbolischen Bedeutung, sondern auch weil sie zu den am besten dokumentierten unter den Homininen-Fossilien gehören“, sagt Bernhard Zipfel, Sammlungskurator der Universität von Witwatersrand. Von den Knochen seien 3D-Modelle, Abdrücke und Bilder vorhanden.

…oder ethisch fragwürdiger PR-Stunt?

Doch viele andere Paläoanthropologen und Archäologen sind eher entsetzt über diesen „Publicity Stunt“: Sie kritisieren, dass dabei unersetzliche Zeugnisse der Menschheitsgeschichte gefährdet und unnötigen Risiken ausgesetzt wurden – nur für eine PR-Aktion. Die European Society for the Study of Human Evolution erklärte am 13. September in einem Statement: „Wir sehen keinen wissenschaftlichen Grund für dieses Projekt und halten es für ethisch fragwürdig, diese einzigartigen Relikte dem Risiko potenzieller Schäden auszusetzen.“

Ähnlich sehen es andere Paläo-Wissenschaftler: „Es ist kein wissenschaftlicher Verdienst, urzeitliche Relikte auf eine so oberflächliche, unethische Weise zu behandeln – sie einfach ins All zu schießen, nur weil man es kann“, kritisierte die Geologin Robyn Pickering von der Universität von Kapstadt gegenüber „Nature“. Vor allem das Schlüsselbein des Australopithecus sediba sei von besonderem wissenschaftlichem Wert, weil es vom Referenz-Exemplar dieser Art stamme und zudem das erste überhaupt von diesem Vormenschen entdeckte Fossil sei, so Pickering. Sie war damals an der Altersbestimmung der Sediba-Fossilien beteiligt.

„Fortsetzung kolonialer Gepflogenheiten“

Der Archäologe Yonatan Sahle von der Universität Kapstadt kritisiert einen weiteren Aspekt dieser PR-Aktion: Afrikanische Fossilien ins All zu schicken, erinnere ihn an koloniale und neokoloniale Gepflogenheiten. „Als jemand, der Afrikaner ist und an einer afrikanischen Institution arbeitet, ist das für mich die Fortsetzung der Vergangenheit und von sehr hässlichen Aspekten der paläoanthropologischen Forschung“, kommentierte Sahle gegenüber „Nature“-News.

Als Reaktion auf die Kritik vor allem im Hinblick auf das Risiko für die Fossilien erklärte die South African Heritage Resources Agency (SAHRA) in einem Statement, man sei „überzeugt, dass der Werbevorteil gegenüber den inhärenten Risiken einer solchen Reise überwiege“. Genau an diesem Punkt gehen die Meinungen jedoch weit auseinander.

Quelle: University of the Witwatersrand, Nature News

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