Von Sibirien bis nach Laos: Erstmals haben Forschende einen fossilen Beweis dafür entdeckt, dass die Denisova-Menschen einst bis nach Südostasien verbreitet waren. Indiz dafür ist der 131.000 bis 164.000 Jahre alte Zahn eines Frühmenschen-Mädchens, der nun in einer Höhle in Laos gefunden wurde. Der Fund bestätigt Genanalysen, nach denen Menschen in Südostasien und Ozeanien Reliktgene dieser Frühmenschenart in sich tragen – und macht die Region zum „Hotspot“ der menschlichen Evolution.
Die Denisova-Menschen sind ein bis heute rätselhafter Zweig des menschlichen Stammbaums. Nur eine Handvoll Einzelknochen wurden bisher von ihnen in Sibirien und Tibet gefunden. DNA-Analysen legen aber nahe, dass diese Frühmenschen sich schon vor rund 800.000 Jahren von unserer Stammeslinie abspalteten und eine Schwestergruppe der Neandertaler bildeten. Mit diesen kreuzten sie sich offenbar auch, wie der Fund eines „Mischlings“-Fossils belegt.
Doch wie weit waren die Denisova-Menschen einst verbreitet? Vergleichende Genomanalysen zeigen, dass vor allem Tibeter, Ureinwohner Ozeaniens und Australiens und einige Südostasiaten noch Denisova-Gene in ihrem Erbgut tragen. „Aber es gibt bisher keine fossilen Belege, die diesen genetischen Abdruck der Denisova-Menschen in den modernen Populationen Südostasiens erklären“, sagen Fabrice Demeter von der Universität Kopenhagen und seine Kollegen. „Es gibt einfach zu wenig Fossilien aus dieser Zeit.“
Backenzahn eines kleinen Frühmenschen-Mädchens
Einen ersten Beleg für die Präsenz dieser Frühmenschen in Südostasien könnten Demeter und sein Team nun jedoch gefunden haben. Es handelt sich um einen fossilen Backenzahn, der 2018 bei Ausgrabungen in der erst kürzlich entdeckten Tam-Ngu-Hao-2-Höhle entdeckt wurde. Im Unterschied zu zahlreichen in der gleichen Fundschicht liegenden Tierzähnen legte die Form dieses Zahns nahe, dass er von einem Menschen oder Frühmenschen stammen musste.
Datierungen des Sediments und einige in der gleichen Schicht gefundener Tierfossilien ergaben, dass der fossile Zahn zwischen 131.000 und 164.000 Jahre alt sein muss. Aus der Form der Zahnwurzel und dem Fehlen von Abnutzungsspuren schließen die Anthropologen zudem, dass der Backenzahn noch nicht aus dem Kiefer herausgewachsen war und daher von einem Kind stammen muss – wahrscheinlich von einem dreieinhalb bis achteinhalb Jahre alten Mädchen.
Größte Übereinstimmung mit den Denisova-Menschen
Aber welcher Menschenart gehörte dieses Mädchen an? Den Merkmalen der Zahnkrone nach war sie noch keine Angehörige unserer Art, des Homo sapiens. Stattdessen fanden die Forschenden eher Ähnlichkeiten mit Frühmenschen wie dem Homo erectus, dem Neandertaler und anderen, nicht näher bestimmten Homo-Formen aus Asien. Der Übergang vom Zahnschmelz zum Dentin dagegen stimmte mit keiner dieser Menschenarten perfekt überein – zeigte aber Ähnlichkeiten zum in Tibet gefundenen Denisova-Kiefer, wie Demeter und sein Team berichten.
Ergänzende Proteinanalysen bestätigten, dass der Zahn von einer weiblichen Angehörigen der Gattung Homo stammen muss. Weil aber gerade die Sequenzen nicht erhalten waren, die typisch für Neandertaler oder aber Denisova-Menschen sind, lieferten die Proteine den Anthropologen keine weitere Einordnungshilfe. Dennoch halten es Demeter und seine Kollegen für sehr wahrscheinlich, dass dieser Backenzahn von einem Kind der Denisova stammt.
„Angesichts der morphologischen Eigenheiten dieses Funds und der großen Ähnlichkeit mit dem Molar aus Xiahe, ist es die plausibelste Hypothese, dass der Zahn zu dieser Schwestergruppe der Neandertaler gehört“, schreiben die Forschenden.
Südostasien als Hotspot der menschlichen Evolution
Sollte sich dies bestätigen, hätte der Fund in mehrfacher Hinsicht weitreichende Bedeutung. Zum einen liefert er den lange gesuchten fossilen Beleg dafür, dass die Denisova-Menschen tatsächlich bis nach Südostasien kamen. „Dieses Fossil repräsentiert den ersten Nachweis der Denisovaner in Südostasien und zeigt, dass sie bis nach Laos verbreitet waren“, sagt Demeter. Das bestätige die genetischen Analysen.
Zum anderen wurden damit nun Denisova-Menschen in so klimatisch und geografisch verschiedenen Lebensräumen wie Sibirien, dem Hochland von Tibet und dem Dschungel Südostasiens gefunden. „Das legt nahe, dass diese asiatische Population von Frühmenschen des Pleistozän ein hohes Maß an Anpassungsfähigkeit für verschiedene Umwelten besaßen“, erklären die Wissenschaftler.
Und zuletzt bestätigt der Fund, dass Südostasien ein Hotspot der menschlichen Evolution war: „Zusammen mit den Denisova-Menschen lebten dort mindestens fünf verschiedene Frühmenschenarten im mittleren und späten Pleistozän: Homo erectus, Denisova/Neandertaler, Homo floresiensis, Homo luzonensis und Homo sapiens“, so Demeter und seine Kollegen. Dazu kommen noch einige Fossilien früher Homo-Vertreter, deren Einordnung bisher unklar ist. (Nature Communications, 2022; doi: 10.1038/s41467-022-29923-z)
Quelle: Flinders University