Altertum trifft Gaming-Technologie: Archäologen haben erstmals den digitalen Zwilling einer der ältesten Städte der Menschheit erstellt – der mesopotamischen Metropole Uruk. Das VR-Abbild Uruks entstand mithilfe einer Langstrecken-Drohne, 32.000 Kamerabildern sowie einer Gaming-Engine, die das hochaufgelöste 3D-Modell in Echtzeit rendern kann. Anders als ein bloßes 3D-Modell ermöglicht es das Uruk-VR, auch Echtzeit-Daten darzustellen.
Sie war einst die größte Stadt der Erde: Schon um 3500 vor Christus lebten mehr als 50.000 Menschen in den Mauern von Uruk. Die Metropole am Ufer des Euphrat bildete das Zentrum des Sumerer-Reiches und umfasste neben Wohngebäuden, Werkstätten und Palästen mehrere große Tempel. „Die archäologischen Überreste Uruks bedecken heute eine Fläche von mehr als fünf Quadratkilometern und bergen die materiellen Zeugnisse einer der ersten Städte der Welt in sich“, erklärt Max Haibt vom Deutschen Archäologischen Institut.
3D-Modell mit Echtzeit-Daten
Umso wichtiger ist es, diese einzigartigen, heute zum UNESCO-Welterbe gehörenden Relikte möglichst intakt zu bewahren und zerstörungsfrei zu erforschen. Um dies zu ermöglichen und gleichzeitig den Zustand der Ruinen überwachen zu können, haben Haibt und sein Team erstmals einen digitalen Zwilling Uruks erstellt. „Ein solcher digitaler Zwilling unterscheidet sich von einem bloß geometrischen Digitalmodell, weil er neben dem 3D-Modell auch Echtzeitdaten von Sensoren umfasst“, erklärt Haibt.
Der digitale Zwilling Uruks ermöglicht damit die virtuelle, hochaufgelöste Erkundung und Erforschung der Ruinen von Uruk und ihrer Umgebung und erleichtert auch die Planung von Ausgrabungen und Probennahmen. Mit dem VR-Modell können aber auch neue Daten wie Bohrkerne, geophysikalische Messungen und archäologische Profile direkt in das weitläufige digitale Landschaftsmodell integriert werden.
32.000 Luftbilder und neun Milliarden Polygone
Doch damit ein solcher digitaler Zwilling entstehen konnte, waren einige technische Herausforderungen zu meistern. Die erste ist die hochaufgelöste, georeferenzierte Kartierung des Gebiets. Dafür nutzten die Archäologen um Haidt eine ferngesteuerte Langstreckendrohne, die über eine Reichweite von mehr als 100 Kilometern verfügt und ein Kilogramm Nutzlast tragen kann. Sechs Tage lang überflog sie Uruk in einem engen Suchraster und erstellte dabei gut 32.000 Luftbilder von Uruk und Umgebung.
Jede Aufnahme wurde mit einem präzisen Geotag versehen und mit 3D-Photogrammetrie-Software zu einem einzigen georeferenzierten Modell zusammengefügt. Basis dieses 3D-Modells bildeten 9,3 Milliarden Netzpolygone und 1.024 Texturlagen. Das Problem jedoch: „Selbst fortgeschrittene Grafiksoftware wie Blender oder 3DsMax kann typischerweise maximal 15 Millionen Polygone laden und rendern“, erklärt Haibt. Für statische 3D-Modelle ließe sich dies durch abschnittweises Rendern umgehen, doch der digitale Zwilling muss in Echtzeit gerendert werden.
Die Lösung fand das Team in modernster Gaming-Technologie. Die in eine Gaming-Engine integrierte Nanite-Technologie ermöglicht es, die Polygone für das Rendern zu virtuellen Clustern zusammenzufassen und den umfangreichen Datensatz dadurch in Echtzeit zu streamen und zu visualisieren.
Die Ruinen von Uruk in 8k
Das Ergebnis ist ein virtuelles Abbild, das die Ruinen von Uruk und seine Umgebung auf einer Fläche von 40 Quadratkilometern und mit 8k-Auflösung zeigt. „Die räumliche Auflösung des ersten Prototyps liegt mit 27 Zentimetern und einer Texturauflösung von rund drei Zentimetern zwar noch unter den Zielvorgaben. Dennoch ist die Qualität schon ausreichend hoch, um das Modell als allgemeinen Kontext für die Integration weiterer räumlicher Daten zu verwenden“, sagt Haibt.
Anders ausgedrückt: Der virtuelle Flug über Uruk macht erstmals sichtbar, was und wo in einem Jahrhundert der archäologischen Forschungen in der mesopotamischen Stadt ausgegraben, untersucht und freigelegt wurde. Die Archäologen sehen darin einen ersten Schritt zu einem noch höher aufgelösten und durch weitere Daten ergänzten VR-Zwilling Uruks.
Schon jetzt kann der digitale Zwilling von Forschenden für die Planung und Auswertung ihrer Projekte verwendet werden. Im Sommer 2024 soll es zudem „geführte Touren“ geben. Im Anschluss wird Uruk-VR dann auch öffentlich zur selbständigen Erkundung zugänglich sein. (International Journal of Digital Earth, 2024; doi: 10.1080/17538947.2024.2324964)
Quelle: Deutsches Archäologisches Institut