Zur selben Zeit am selben Ort: 1,5 Millionen Jahre alte Fußspuren liefern erstmals den Beweis, dass frühe Menschenarten koexistierten – sie lebten gemeinsam in einem Lebensraum. Davon zeugen 1,5 Millionen Jahre alte Fußspuren am Turkanasee in Kenia, die von zwei verschiedenen Homininen stammen – dem Homo erectus und dem Vormenschen Paranthropus boisei. Beide müssen innerhalb von wenigen Stunden am Seeufer entlanggelaufen sein – möglicherweise sind sie sich sogar begegnet, wie das Team in „Science“ berichtet.
Die Ursprünge der Menschheit sind verworren, denn in der Zeit vor vier bis einer Million Jahre entwickelten sich in Afrika gleich mehrere Vor- und Frühmenschenarten. Einige wurden zu unseren Vorfahren, wie der Homo habilis und der Homo erectus. Andere starben jedoch ohne Nachfahren aus wie der Homo naledi, der Paranthropus boisei oder einige Australopithecus-Arten. Fossilfunde legen aber nahe, dass zumindest einige dieser Homininen gleichzeitig und nicht weit voneinander entfernt vorkamen.
Ob diese frühen Menschenarten aber denselben Lebensraum teilten und sich begegneten, ist unklar. Denn die spärlichen Fossilfunde liegen zu weit auseinander, um klare Auskunft über eine solche Koexistenz zu geben.
Fußspuren im urzeitlichen Uferschlamm
Jetzt liefern neue Funde in der berühmten Fossilfundstätte Koobi Fora den lange gesuchten Beweis für eine solche Koexistenz unter frühen Menschenformen. An diesem Ort am Ostufer des Turkanasees in Kenia haben Paläoanthropologen seit 1969 tausende Knochen verschiedener Vor- und Frühmenschenarten sowie Steinwerkzeuge und Tierknochen entdeckt. 2007 stießen sie zudem auf versteinerte Fußspuren des Homo erectus, die dessen moderne Fußanatomie und Gehweise belegen.
Ein Team um Kevin Hatala von der Chatham University in Pittsburgh hat nun weitere Fußabdrücke untersucht, die erst im Jahr 2021 am Seeufer gefunden und 2022 freigelegt wurden. Es handelt sich um eine durchgehende Spur einer Person sowie um mehrere einzelne Abdrücke, die von anderen Individuen stammen. In der gleichen Schicht sind zudem die Abdrücke verschiedener Tiere, darunter vor allem von urzeitlichen Marabus zu erkennen, wie das Team berichtet. Sie datieren die Abdrücke auf ein Alter von 1,52 Millionen Jahren.
„Fossile Fußabdrücke sind spannend, weil sie Schnappschüsse darstellen, die Einblicke in das Leben unserer fossilen Verwandten geben“, sagt Hatala. „An solchen Daten können wir sehen, wie sich Individuen vor Millionen Jahren durch ihre Umwelt bewegten und dabei miteinander oder mit anderen Tieren interagierten. Das ist etwas, das uns Knochen oder Steinwerkzeuge nicht liefern können.“
Abdrücke von Homo erectus und von Paranthropus boisei
In Koobi Fora haben nähere Analysen der neu entdeckten Spuren nun eine echte Sensation enthüllt: „Die Fußabdrücke sind für erste Beleg für Spuren zweier verschiedener, aufrecht gehender Homininenarten auf der gleichen Fundfläche“, berichten die Forschenden. Die Anatomie der Füße und das an den Abdrücken ablesbare Gangmuster seien zu unterschiedlich, um von derselben Spezies zu stammen. Demnach ähneln die Einzelabdrücke bereits den Fußabdrücken moderner Menschen und stammen höchstwahrscheinlich von einem Homo erectus, wie das Team erklärt.
Die durchgehende Spur zeigt hingegen deutlich primitivere Merkmale. „Diese Abdrücke sind flacher und weniger tief und ähneln darin eher den 3,6 Millionen Jahre alten Spuren von Laetoli in Tansania“, berichten Hatala und seine Kollegen. Sie ordnen sie einem Paranthropus boisei zu. Dieser robust gebaute Vormensch besaß ein kleineres Gehirn und einen weniger ausbalancierten aufrechten Gang als Homo erectus.
Erster Beweis für direkte Koexistenz
Das Entscheidende jedoch: Diese beiden frühen Menschenarten müssen fast gleichzeitig am schlammigen Seeufer entlanggegangen sein. „Diese Homininen gingen über die gleiche Oberfläche – innerhalb von nur wenigen Stunden“, sagt Koautor Craig Feibel von der Rutgers University. Möglicherweise begegneten sich der Homo erectus und der Paranthropus sogar. „Die Tatsache, dass diese Arten gleichzeitig vorkamen, ist zwar keine Überraschung, aber dies ist der erste klare Beweis. Das ist wirklich eine große Sache“, so Feibel.
Nach Ansicht des Teams legen die Spuren nahe, dass der Turkanasee vor 1,5 Millionen Jahren eine wichtige Ressource für beide Homininenarten war. Das Seeufer und die umgebende Landschaft könnten damals beiden frühen Menschenarten ausreichend Nahrung geboten haben, ohne dass sie sich direkte Konkurrenz machten. Denn Kiefer und Zähne des Paranthropus boisei legen nahe, dass seine Nahrung hauptsächlich aus Gräsern, Grassamen und Knollen bestand, ähnlich wie bei den heutigen Pavianen. Der Homo erectus hatte dagegen einen deutlich flexibleren, auch Früchte, Fleisch und Fisch umfassenden Speiseplan.
Nur der Homo erectus überlebte
Diese konkurrenzarme Koexistenz dauerte allerdings nicht lange an: „Später haben klimabedingte Umweltveränderungen die Verfügbarkeit der Ressourcen verschoben“, erklären Hatala und seine Kollegen. Als Folge wurde die Gräser-Nahrung des Paranthropus seltener, während der Homo erectus dank seiner flexibleren Ernährungsstrategie auf andere Ressourcen wie Fleisch, Früchte oder Fisch ausweichen konnte. Er konnte dadurch überleben, während sein primitiverer Vetter ausstarb.
„Damit liefern die Ergebnisse von Hatala und Team einen faszinierenden Einblick in die Verhaltensökologie von gleichzeitig vorkommenden Homininenarten“, schreibt William Harcourt-Smith vom American Museum of Natural History in New York in einem begleitenden Kommentar zur Studie. „Sie deuten auf Aspekte der Paläobiologie hin, die schwer zu rekonstruieren, aber entscheidend für unser Verständnis dieser und anderer Vertreter der Homininen sind.“ (Science, 2024; doi: 10.1126/science.ado5275)
Quelle: Science, Rutgers University