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Archäologie

Maya: Brüderpaare als Menschenopfer

Gebeine von Kinderopfern in Chichén Itzá liefern neue Einblicke in Religion und Ritale

Tempel des Kukulcan
In Chichén Itzá, hier die Tempelpyramide des Kukulcan, opferten die Maya hunderte Kinder, darunter auffallend viele Brüderpaare. © IR_Stone/ iStock

Zwillingsopfer für die Götter: Bei ihren rituellen Menschenopfern töteten die Maya auch Kinder – und mit Vorliebe Brüderpaare. Dies enthüllen Überreste von 64 männlichen Kindern, die in der Mayastadt Chichén Itzá geopfert und anschließend in einer unterirdischen Zisterne deponiert wurden. Unter den Toten waren mehrere eng verwandte Paare – wahrscheinlich Brüder – sowie zwei eineiige Zwillingspaare, wie Forschende in „Nature“ berichten. Sie standen vermutlich für die göttlichen „Helden-Zwillinge“ aus dem Schöpfermythos der Mayas.

Ob Inkas, Maya oder Azteken: Die präkolumbischen Hochkulturen Mittel- und Südamerikas waren in ihren religiösen Praktiken nicht zimperlich. Bei ihren Ritualen und Zeremonien ging es oft blutig zu und auch Menschenopfer waren fester Bestandteil. Dabei wurden besonders oft Kinder und Jugendliche den Göttern geopfert. Die Inkas setzten diese Opfer auf Berggipfeln aus, die Azteken brachten sie zu Ehren des Regengottes Tlaloc zum Weinen und durchbohrten sie dann und die Chimu in Peru rissen Kindern das Herz heraus.

Tzompantli
Teil eines rekonstruierten Tzompantli, eines steinernen Schädelgerüstes in Chichén Itzá. Auch sie zeugen von häufigen Menschenopfern der Maya. © Johannes Krause

Auch die Maya praktizierten Kinderopfer, wie vor allem Funde in der Tempelstadt Chichén Itzá belegen. Dort war der große Tempel des Kukulkan über einem Kalksteinweg direkt mit der heiligen Cenote verbunden – einem natürlichen, wassergefüllten Sinkloch im Karstuntergrund. Am Grund dieser Doline fanden Archäologen die Gebeine von mehr als 200 Menschenopfern, vorwiegend Kindern.

Kindergebeine in unterirdischem Wasserreservoir

In unmittelbarer Nähe zur Cenote wurde 1967 eine unterirdische Zisterne – ein Chultún – mit angrenzender Höhle entdeckt, in dem Überreste weiterer gut 100 Kinderopfer lagen. „Solche unterirdischen Strukturen galten als Zugänge zur Maya-Unterwelt und standen in Zusammenhang mit Wasser, Regen und Kinderopfern“, erklären Rodrigo Barquera vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und seine Kollegen. Doch obwohl diese Stätten schon seit fast 100 Jahren erforscht werden, sind Zweck, Ablauf und ritueller Kontext dieser Menschenopfer und Massengräber noch weitgehend ungeklärt.

Um mehr Klarheit zu schaffen, haben Barquera und sein Team nun die Überreste von 64 der gut 100 Kinderopfer aus dem Chultún von Chichén Itzá genauer untersucht. Sie unterzogen die Relikte einer Datierung und analysierten die Isotopenwerte in den Knochen und Zähnen, um Hinweise auf die Herkunft und Ernährung der geopferten Kinder zu erhalten. Zusätzlich extrahierten sie DNA aus den Knochen und verglichen sie miteinander sowie mit einer Vergleichsgruppe heute lebender Maya-Nachfahren.

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Lage der Funde in Chichen Itza
Lage der unterirdischen Kaverne (Chultún) mt den Kinderopfern in Chichén Itzá. © Barquera et al./ Nature, CC-by 4.0

Geopfert wurden nur Jungen

Das überraschende Ergebnis: Alle in der unterirdischen Opferstätte gefundenen Kinder waren männlich. „In Berichten aus dem frühen 20. Jahrhundert wurden reißerische Geschichten über die Opferung junger Frauen und Mädchen an dieser Stätte verbreitet, die nicht den Tatsachen entsprechen“, berichtet Koautorin Christina Warinner von der Harvard University. „Unsere Studie, die in enger internationaler Zusammenarbeit durchgeführt wurde, stellt diese Interpretation auf den Kopf.“

Die Datierung enthüllte, dass die meisten dieser Jungen während der Blütezeit von Chichen Itza zwischen dem Jahr 800 und 1000 geopfert wurden. Insgesamt wurde das Chultún jedoch mehr als 500 Jahre lang, vom 7. bis zum 12. Jahrhundert, für rituelle Bestattungen genutzt. Die getöteten Kinder stammten dabei vorwiegend aus der näheren Umgebung von Chichen Itza, wie die Analysen ergaben.

Brüderpaare und Zwillinge bevorzugt

Doch die DNA-Analysen lieferten noch eine Überraschung: Rund ein Viertel der geopferten Jungen war mit mindestens einem anderen Opfer in der Zisterne eng verwandt – sie waren höchstwahrscheinlich Brüder. „Dies legt nahe, dass die geopferten Kinder speziell wegen dieser biologischen Verwandtschaft ausgewählt wurden“, erklären die Forschenden. Sie konnten mindestens neun solcher Brüderpaare identifizieren, vermuten aber, dass unter den insgesamt 108 Opfern noch weitere Verwandte sind.

Unerwartet war auch die Entdeckung von gleich zwei eineiigen Zwillingspaaren unter den Kinderopfern. „Da solche Zwillinge nur mit einer Rate von 0,4 Prozent in der Bevölkerung vorkommen, ist der Nachweis von gleich zwei Paaren unter diesen Opfern mehr als man durch Zufall erwarten würde“, schreiben Barquera und seine Kollegen. Die Maya wählten demnach für ihre Opferrituale gezielt Zwillinge und Brüderpaare aus.

Das Popol Vuh und die Heldenzwillinge

Diese Vorliebe für Brüder und Zwillinge hängt eng mit den religiösen Vorstellungen und insbesondere den Schöpfungsmythen der Maya zusammen, wie das Team erklärt. So spielen im Popol Vuh, dem heiligen „Buch des Rates“ der Quiché-Maya, Zwillinge und Zwillingsopfer eine zentrale Rolle. Demnach stiegen die Zwillinge Hun Hunahpú und Vucub Hunahpú in die Unterwelt hinab und werden nach der Niederlage beim rituellen Ballspiel von den Unterweltgöttern geopfert.

Aus dem Kopf und Samen eines dieser geopferten Zwillinge geht jedoch ein weiteres Zwillingspaar hervor. „Diese Zwillinge, als Heldenzwillinge bekannt, rächen ihren Vater und Onkel und durchlaufen dabei wiederholte Zyklen von Opferung und Wiederauferstehung, um die Unterweltgötter auszutricksen“, berichten die Forschenden. „Die Opfer von Zwillingen und eng verwandten Jungen könnten auf Rituale hindeuten, in denen die Heldenzwillinge eine Rolle spielen.“

Die Kinderopfer aus dem Chultún von Chichén Itzá standen demnach wahrscheinlich in engem Zusammenhang zum Schöpfungsmythos der Maya. (Nature, 2024; doi: 10.1038/s41586-024-07509-7)

Quelle: Max-Planck-Gesellschaft

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