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Archäologie

„Mumienkäse“ verrät seine Geheimnisse

Wissenschaftler extrahieren erstmals DNA aus dem ältesten Käse der Welt

Xiaohe-Mumie
Einige chinesische Mumien erhielten vor 3.500 Jahren Kefir-Käse als Grabbeigabe. © LI Wenying, Xinjiang Cultural Relics and Archaeology Institute /CC-by-sa 4.0

Käse-Krimi: Wissenschaftlern ist es erstmals gelungen, DNA aus dem ältesten Käse der Welt zu gewinnen – einem Kefir, der chinesischen Mumien einst als „Jenseits-Proviant“ diente. Damit ist nun unter anderem klar, aus welcher Milch der Käse vor 3.500 Jahren hergestellt wurde und welche Mikroben für seine Fermentation verantwortlich waren. Ein Vergleich mit modernem Kefir zeigt außerdem, wie sich die Mikroben im Laufe der Jahrtausende weiterentwickelt haben.

Ob Sauerkraut, Sauerteig, Joghurt oder Käse: Viele unserer alltäglichen Lebensmittel sind fermentiert. Der in ihnen enthaltene Zucker wurde gezielt von Bakterien und Hefen verstoffwechselt. Fermentiertes schmeckt dadurch zwar leicht säuerlich, fördert aber die Darmgesundheit und ist obendrein auch länger haltbar. Schon seit mindestens 9.000 Jahren beherrscht die Menschheit diesen cleveren Trick der Lebensmittelverarbeitung, doch wie unsere Vorfahren einst bei der Fermentation vorgingen, ist kaum bekannt.

„Mumienkäse“ als fehlendes Puzzleteil

Vielleicht haben der Wissenschaft bisher auch einfach die richtigen Forschungshelfer gefehlt. Denn Yichen Liu von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften und seinem Team ist es nun gelungen, mehr über die Fermentation bei der frühen Käseherstellung zu erfahren – und zwar mit der Hilfe von Mumien.

Xiaohe-Mumie
Die Mumien gehörten einst dem Volk der Xiaohe an. © LI Wenying, Xinjiang Cultural Relics and Archaeology Institute /CC-by-sa 4.0

Die Mumien selbst konnten den Forschenden natürlich nichts mehr über die Käseherstellung ihres Volkes vor 3.500 Jahren berichten, dafür aber ungewöhnliche Grabbeigaben, die die Toten aus dem Tarimbecken im Nordwesten Chinas um den Hals trugen. Denn als Proviant für den Weg ins Jenseits hatten ihre Angehörigen den Verstorbenen einst mehrere Stücke Kefir-Käse mitgegeben – den heute ältesten bekannten Käse der Welt.

Das Geheimnis seiner Herstellung und seines Ursprungs schlummert im genetischen Code des Methusalem-Käses, doch der ist im Laufe der Zeit lückenhaft geworden. Modernste genanalytische Methoden haben es Liu und seinem Team daher erst jetzt – Jahrzehnte nach der Entdeckung der Mumien – ermöglicht, die Geheimnisse des uralten Kefirs zu entschlüsseln.

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Steppenvölker als Inspiration?

Was also steht drin im Kefir-Logbuch? Zunächst einmal konnten die Forschenden die DNA jener Nutztiere Identifizieren, deren Milch vor 3.500 Jahren für die Herstellung des Mumienkäses verwendet wurde. Das Volk der Xiaohe, dem die Toten angehörten, produzierte seinen Kefir demnach einst als Kuh- und als Ziegenmilch-Variante.

Die Ziegen gehörten dabei laut DNA-Analysen zu einer ehemals weit in Eurasien verbreiteten Gruppe, die sich genetisch von den heutigen domestizierten Ziegen Ostasiens abhebt. Liu und seine Kollegen halten es daher für möglich, dass die Xiaohe und andere alte Völker des Tarimbeckens die Technik der Kefirherstellung einst von eurasischen Steppenvölkern übernommen haben – ihren nomadischen Nachbarn im Westen.

Der älteste Käse der Welt
Der älteste Käse der Welt hat viel zu erzählen. © PING Wanjing, Institute of Vertebrate Paleontology and Paleoanthropology, Chinese Academy of Sciences

Rezeptur hat sich kaum verändert

Von den Steppenvölkern hätten die Xiaohe zum Beispiel gelernt, dass man für Kefir neben Milch noch sogenannte Kefirknollen voller Milchsäurebakterien und Hefen benötigt. Sie gären stunden- bis tagelang in der Milch und machen aus ihr schließlich trinkfertigen Kefir. Entzieht man dem Gemisch seine Feuchtigkeit, kann man es schließlich zu festem Kefirkäse weiterverarbeiten, den auch die chinesischen Mumien um den Hals trugen.

Dieser Prozess scheint sich im Laufe der Zeit kaum verändert zu haben – noch heute wird Kefir auf diese Weise hergestellt. Doch auch die Zusammensetzung der Kefirknollen ist über die Jahrtausende hinweg weitgehend gleichgeblieben, wie Liu und sein Team herausgefunden haben. Auch vor 3.500 Jahren enthielten die Knollen den DNA-Analysen zufolge unter anderem bereits das Milchsäurebakterium Lactobacillus kefiranofaciens und den Hefepilz Pichia kudriavzevii.

Kommt Kefir doch nicht aus Russland?

Der Inhalt der chinesischen Käseproben schreibt damit überraschenderweise sogar die Geschichte des Kefirs um. Denn bislang ging man davon aus, dass dieser seinen Ursprung in der Bergregion des Nordkaukasus im heutigen Russland hatte und sich von dort aus weiterverbreitete. Doch die Lactobacillus-Bakterien im Mumienkäse sind enger mit einer tibetanischen Lactobacillus-Variante verwandt als mit der russischen.

Offenbar hat sich Kefir demnach in der damaligen Welt weniger linear verbreitet als gedacht. „Unsere Beobachtungen deuten darauf hin, dass die Kefirkultur in der nordwestchinesischen Region Xinjiang seit der Bronzezeit gepflegt wird“, erklärt Seniorautor Qiaomei Fu.

Kefir-Bakterien haben sich weiterentwickelt

Genauso wie wir Menschen nicht mehr dieselben sind wie zur Zeit des Mumienkäses, haben sich auch die Lactobacillus-Kulturen im Laufe der Jahrtausende weiterentwickelt. Vergleiche mit modernem Kefir und dessen mikrobiellen Inhaltsstoffen ergaben, dass heutige Lactobacillus-Bakterien Milch effizienter fermentieren können als ihre Vorfahren. Auch haben sie sich in den vergangenen 3.500 Jahren immer besser an ihren menschlichen Wirt angepasst, so dass sie in unserem Darm deutlich seltener Immunreaktionen auslösen.

„Es ist aufregend zu sehen, wie viele Informationen aus diesen Käsen gewonnen werden können“, sagt Koautor Yimin Yang von der Universität der Chinesischen Akademie der Wissenschaften. „Organische Rückstände öffnen ein Fenster in vergangene menschliche Verhaltensweisen und Kulturen, die in der Geschichte und in Aufzeichnungen verloren gegangen sind.“ Fu ergänzt: „Das ist erst der Anfang und wir hoffen, mit dieser Technologie weitere bisher unbekannte Artefakte zu erforschen.“ (Cell, 2024; doi: 10.1016/j.cell.2024.08.008

Quelle: Cell Press, Chinese Academy of Sciences Headquarters

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