Grausige Relikte: Bei Ausgrabungen auf dem Schlachtfeld von Waterloo haben Archäologen weitere Zeugnisse von Napoleons letzter Schlacht entdeckt. In einem Graben nahe des ehemaligen britischen Feldlazaretts stießen sie auf haufenweise Überreste von amputierten Gliedmaßen im Umfeld eines einzigen kompletten Skeletts. Säuberlich durch eine Barriere aus Munitionskisten davon getrennt waren die Gebeine von mindestens sieben toten Armeepferden begraben worden.
Die Schlacht von Waterloo im Juni 1815 war einer der Wendepunkte in der Geschichte Europas. Denn in ihr wurde Napoleon Bonaparte durch die vereinten Truppen der Briten und Preußen endgültig besiegt. Mindestens 20.000 Männer starben, zehntausende weitere Soldaten wurden im Kampf schwer verwundet.
Das Rätselhafte jedoch: Bis heute sind auf dem ehemaligen Schlachtfeld südlich der belgischen Hauptstadt Brüssel kaum Tote geborgen worden. Obwohl Zeitzeugen von Massengräbern und vielen Gruben mit den Überresten von Toten auf dem Schlachtfeld berichten, haben Archäologen in Waterloo bisher erst zwei vollständige Skelette von Soldaten und eine Handvoll Gliedmaßen gefunden. Seit 2015 führt das Projekt „Waterloo Uncovered“ jährlich Grabungskampagnen in diesem Gebiet durch.
Ungewöhnlicher Fund
Jetzt gibt es neue Funde – darunter auch einige weitere menschliche Relikte. Das Team um Tony Pollard of the University of Glasgow hat dafür im Sommer 2024 gezielt Ausgrabungen am Gehöft Mont-Saint-Jean durchgeführt, das der britischen Armee unter Wellington damals als Feldlazarett diente. Dabei stießen sie nun auf eine Grube voller tierischer und menschlicher Überreste, unter ihnen die Gebeine von toten Pferden und Ochsen, aber auch die Gebeine von Soldaten.
Die Grube diente demnach nach der Schlacht von Waterloo als eine Art Massengrab für tote Armeepferde, aber auch als Bestattungsort im Feldlazarett gestorbener Soldaten und ihrer abgetrennten Körperteile. Doch die Art, wie diese Überreste angeordnet waren, ist ungewöhnlich: „Ich kenne keine andere Fundstätte, die diese Kombination von Elementen aufweist – das ist wirklich einzigartig, sowohl für die napoleonische Archäologie als auch darüber hinaus“, berichtet Pollard.
Tiere und Menschen getrennt
Das Ungewöhnliche daran: Die tierischen und menschlichen Relikte sind fein säuberlich voneinander getrennt. Zwischen ihnen bildet eine Reihe nebeneinander und aufeinander gestellter Munitionskästen die Abtrennung. Nördlich dieser Barriere liegen die Skelette des Ochsen sowie von mindestens sieben Pferden, die teilweise in Schlacht starben, teilweise einen Gnadenschuss erhalten hatten. Südlich der Munitionskästen fanden die Archäologen ganze Haufen von bei Amputationen abgetrennten Gliedmaßen. Auch das 2022 entdeckte zweite komplette Skelett lag in diesem Grabenteil.
„Diese Anordnung, mit den tierischen Relikten auf einer Seite und allen menschlichen Überesten auf der anderen, legt nahe, dass die Männer dem toten Soldaten ein Mindestmaß an Würde und Respekt gewähren wollten – trotz der grauenhaften Szenerie, mit der sie beim Ausräumen des Feldlazaretts konfrontiert waren“, erklärt Pollard. Die Überreste der im Lazarett Gestorbenen und der amputierten Arme und Beine sollten demnach getrennt von den Tieren im ehemaligen Obstgarten des Gutshofs ruhen.
Zurzeit arbeiten die Archäologen und ihre Helfer daran, den Graben weiter freizulegen. Sie gehen davon aus, dass jenseits des bereits geöffneten Grabenstücks noch weitere Relikte der Schlacht von Waterloo und des alliierten Feldlazaretts verborgen liegen.
Kriegsversehrte als Ausgrabungshelfer
Eine Besonderheit des Ausgrabungsprojekts von Waterloo Uncovered ist die Teilnahme von kriegsversehrten Veteranen als freiwilligen Grabungshelfern. „Ich dachte, der tote Soldat würde mich am meisten emotional mitnehmen, aber tatsächlich waren es die Armeepferde“, sagt Clive Jones, einer der Kriegsversehrten. Da er selbst bei der britischen Kavallerie diente, versetzten ihn die toten Pferde zurück in seine aktive Soldatenzeit.
„Es mag kontraintuitiv erscheinen, Kriegsversehrte ausgerechnet zurück auf ein Schlachtfeld zu bringen“, sagt Abigail Boyle, Leiterin von Waterloo Uncovered. „Aber tatsächlich ist es für die Betroffenen sehr hilfreich.“ Denn die Auseinandersetzung mit den Funden helfe vielen Kriegsversehrten, sich mit ihren Erinnerungen und Erfahrungen auseinanderzusetzen. Gleichzeitig stärke sie die Gemeinschaft mit anderen teilnehmenden Veteranen.
Quelle: University of Glasgow, Waterloo Uncovered