Die gängigen Szenarien zur berühmten Gletschermumie Ötzi sind nur zum Teil korrekt, wie nun eine Neuauswertung der Funde und Daten nahelegt. Denn anders als gedacht starb der Kupferzeit-Mann nicht am Fundort, sondern rutschte erst Monate später in diese Senke auf dem Tisenjoch. Seine Mumie blieb zudem nicht die ganze Zeit unter dem Gletschereis eingeschlossen. Stattdessen taute sie mehrfach auf und wurde von Schmelzwasser umspült.
Die 1991 in den österreichischen Alpen entdeckte Eismumie Ötzi ist einer der berühmtesten Funde der Gletscherarchäologie – und der am besten untersuchte. Der gut konservierte Körper dieses vor 5.300 Jahren gestorbenen Mannes, seine DNA und seine Ausrüstung haben Archäologen einzigartige Einblicke in das Leben und die Todesumstände dieses Menschen aus der Kupferzeit gegeben. Wir wissen, woher er kam, was er aß, welche Krankheiten er hatte und wie er starb. Auch woher das Material für seine Kleidung und Waffen stammte, wurde inzwischen geklärt.

Auffällige Diskrepanzen
Doch es gibt auch einige Aspekte von Ötzis Geschichte, die weniger klar sind. Dazu gehören vor allem die Umstände seiner Konservierung im Eis und die Frage, wie der Tote in die Senke auf dem Tisenjoch kam. Dem ursprünglichen, kurz nach seinem Fund aufgestellten Szenario zufolge starb Ötzi im Herbst, nachdem er vor Feinden in das Hochgebirge geflohen war. Er fiel in eine schneefreie Senke nahe dem Tisenjoch und wurde direkt anschließend von Schnee und Eis eingeschlossen und konserviert.
„Diese Geschichte, wie Ötzi durch eine Reihe glücklicher Umstände erhalten blieb, ist attraktiv und spannend“, sagt Lars Pilø vom norwegischen Amt für Kulturerbe. „Allerdings passt sie nicht zu dem, was wir heute über archäologische Gletscherfunde wissen.“ Anders als Ötzi blieben sie nur selten ununterbrochen eingefroren und auch die sofortige Konservierung im Eis ist eher ungewöhnlich. Hinzu kommt: Analysen von Pollenresten an der Gletschermumie haben inzwischen belegt, dass Ötzi nicht im Herbst, sondern im Frühjahr oder Frühsommer gestorben sein muss.