Thor Heyerdahl hatte Recht: Neue DNA-Analysen widerlegen gleich zwei Annahmen zur Geschichte von Rapa Nui – der Osterinsel. Demnach durchlebten die Bewohner der Pazifikinsel doch keinen katastrophalen Bevölkerungskollaps – ihr „ökologischer Selbstmord“ ist ein Mythos, wie Forschende in „Nature“ berichten. Außerdem enthüllen die Genomdaten, dass die Osterinsel-Bewohner schon in ihrer Anfangszeit Kontakt mit Südamerika hatten, wie vor gut 70 Jahren von Thor Heyerdahl postuliert.
Rapa Nui – bei uns als Osterinsel bekannt – liegt weitab von Küsten mitten im Pazifik. Die nächstgelegene bewohnte Insel Polynesiens ist 1.700 Kilometer entfernt, die Küste Südamerikas sogar 3.700 Kilometer. Deshalb wurde die Osterinsel erst im 13. Jahrhundert durch Seefahrer aus Polynesien besiedelt. Diese entwickelten eine einzigartige und noch immer rätselhafte Kultur, deren Kennzeichen riesenhafte Steinfiguren, die berühmten Moai, sind.
Zwei strittige Fragen zu den Rapa-Nui
Doch wie die Geschichte der Rapa-Nui-Kultur dann weiterging, ist seit Jahrzehnten umstritten. Dabei stehen zwei Annahmen im Fokus der Debatten: Die erste ist Ökozid-Theorie, nach der die Inselbewohner die natürlichen Ressourcen in Form von Wald und Nahrungspflanzen so übernutzten, dass die Insel die bis auf geschätzte 15.000 Menschen angewachsene Bevölkerung nicht mehr ernähren konnte. Die Osterinsel galt daher als warnendes Beispiel für eine solche Übernutzung.
Die zweite Kontroverse betrifft die Herkunft und frühen Kontakte der Rapa-Nui: Aufgrund von Ähnlichkeiten in Sprache und Kunst postulierte der norwegische Archäologe Thor Heyerdahl schon 1947, dass auch Ureinwohner Südamerikas die Osterinsel erreicht und vielleicht sogar als erste besiedelt haben. Tatsächlich erbrachten einige DNA-Analysen der heutigen Bewohner Rapa-Nuis Hinweise auf einen indianischen DNA-Anteil. Unklar blieb jedoch, wann die Vermischung stattfand und in welchem Maße.
Mehr Klarheit liefern nun Analysen alter DNA durch Victor Moreno-Mayar von der Universität Kopenhagen und seinen Kollegen. Sie untersuchten Erbgut von Rapa-Nui, die in der Zeit zwischen 1670 und 1950 gestorben und auf der Osterinsel bestattet worden waren. Die ältesten dieser Toten stammen demnach aus der Zeit vor Ankunft der ersten Europäer im Jahr 1722. Analysen der genetischen Vielfalt erlaubten es dem Team, die Populationsgröße und -entwicklung der Rapa Nui zu rekonstruieren.
Keine Anzeichen für Kollaps oder Ökozid
Das Ergebnis: Entgegen bisherigen Annahmen fanden die Forschenden keinerlei Hinweise auf einen Bevölkerungskollaps vor Ankunft der Europäer auf der Osterinsel. „Unsere genetischen Analysen zeigen eine ab dem 13. Jahrhundert stabil wachsende Population“, berichtet Koautorin Bárbara Sousa da Mota von der Universität Lausanne. „Das ist entscheidend, denn es steht in direktem Widerspruch zur Idee eines dramatischen Kollapses noch vor dem ersten Europäer-Kontakt.“ Auch eine Überbevölkerung gab es offenbar nicht – die Populationsgröße lag nur bei wenigen tausend Menschen.
Erst nach Ankunft der Europäer sorgten eingeschleppte Krankheiten und Sklavenhandel für einen rasanten Niedergang der indigenen Inselbevölkerung und ihrer Kultur. „Ich persönlich glaube, dass die Idee des ‚Ökozids‘ Teil eines kolonialen Narrativs ist“, sagt Moreno-Mayar. „Dahinter steckt die Vorstellung, dass diese vermeintlich primitiven Menschen nicht fähig waren, ihre Ressourcen und Kultur zu verwalten. Aber die genetischen Belege zeigen uns das Gegenteil.“
Heyerdahl hatte Recht: Früher Kontakt nach Südamerika
Und auch zur zweiten Kontroverse liefern die DNA-Analysen neue Erkenntnisse. Wie das Team feststellte, stammten zwischen sechs und 11,4 Prozent des Rapa-Nui-Erbguts aus Südamerika. Der Rest war primär polynesischer Herkunft. Die Verteilung der „indianischen“ Genom-Abschnitte verrieten zudem, dass diese Einkreuzung südamerikanischen Erbguts lange vor dem Kontakt mit Europäern erfolgt sein muss.
„Wir datieren diese Einkreuzung zuverlässig auf den Zeitraum von 1250 bis 1430 – und damit bevor Kolumbus Amerika erreichte und auch lange vor Ankunft der Europäer auf Rapa Nui im Jahr 1722“, schreiben Moreno-Mayar und seine Kollegen. Damit bestätigt dies, dass es schon kurz nach der ersten Besiedlung der Osterinsel durch frühe Polynesier auch Kontakte nach Südamerika gegeben haben muss. Thor Heyerdahl hatte demnach wohl recht mit seiner Annahme, dass die kulturellen und linguistischen Ähnlichkeiten beider Populationen kein bloßer Zufall waren.
Ob jedoch die polynesischen Besiedler der Osterinsel die weite Überfahrt nach Südamerika wagten oder ob sie Besuch von dort erhielten, ist noch unklar. „Unserer Ansicht nach legt dies aber nahe, dass die Rapa-Nui zu noch beeindruckenderen Seereisen fähig waren als bisher gedacht“, sagt Sousa da Mota. (Nature, 2024; doi: 10.1038/s41586-024-07881-4)
Quelle: University of Copenhagen – The Faculty of Health and Medical Sciences