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Archäologie

Rätsel der „schreienden Mumie“ gelöst?

Was steckt hinter dem ungewöhnlichen Gesichtsausdruck einer vor 3.500 Jahren gestorbenen Ägypterin?

schreiende Mumie
Diese Mumie einer vor rund 3.500 Jahren gestorbenen Ägypterin gibt wegen ihres Gesichtsausdrucks Rätsel auf, denn sie scheint noch im Tod zu schreien. © Sahar Saleem/ CC-by 4.0

Grimasse des Todes: Mediziner haben einen rund 3.500 Jahre alten Todesfall neu aufgerollt – die „schreiende Mumie“ einer Ägypterin. Sie verblüfft durch ihr verzerrtes Gesicht und den weit aufgerissenen Mund. Lange vermuteten Archäologen dahinter eine schlampige, unvollständige Einbalsamierung, doch die neuen Analysen widerlegen dies nun. Stattdessen deutet einiges darauf hin, dass diese Frau unter enormen Qualen starb – und ihr Gesichtsausruck für die Ewigkeit fixiert blieb.

Im alten Ägypten galt eine möglichst gute Konservierung des Körpers als wichtige Voraussetzung für den Übergang ins Jenseits. Deshalb wurden vor allem hochrangige Tote einer aufwendigen Einbalsamierung unterzogen. Viele dieser Mumien sind bis heute erhalten und geben einzigartige Einblicke in Aussehen, Gesundheit und Tod der ägyptischen Elite. Sogar Mordfälle haben Archäologen schon anhand von Mumien-Untersuchungen aufgeklärt.

Mumie CIT8 im CT
Die „schreiende Mumie“ CIT8 bei der Untersuchung im Computertomografien. © Sahar Saleem/ CC-by 4.0

Die „schreiende Mumie“ aus dem Grab des Senmut

Doch ein Fall gab bis heute Rätsel auf: die „schreiende Mumie“. Diese rund 3.500 Jahre alten Überreste einer ägyptischen Frau waren bereits 1935 in der Nekropole Deir El-Bahari nahe Luxor entdeckt worden – an einem sehr speziellen Ort. Denn die in einem mit Bemalungen verzierten Holzsarkophag bestattete Tote wurde unter dem Grab des Architekten und Oberaufsehers Senmut entdeckt. Er gilt als möglicher Liebhaber der Pharaonin Hatschepsut. Doch wer die unter seinem Grab bestattete Frau war, ist unbekannt.

Das Merkwürdige jedoch: Die Mumie mit der Bezeichnung CIT8 war zwar nahezu perfekt erhalten, zeigte jedoch einen für Mumien ungewöhnlichen Gesichtsausdruck. Denn anders als bei den meisten Mumien war ihr Mund nicht geschlossen und durch Kinnbinden gesichert, sondern weit aufgerissen wie zu einem Schrei.

Warum blieb der Mund offen?

„Bisher wurde ein offener Mund nur bei zwei anderen Mumien gefunden“, berichten Sahar Saleem von der Universität Kairo und Samia El-Merghani von der ägyptischen Archäologiebehörde. Im ersten dieser Fälle, einem Prinzen aus der 20. Dynastie, war eine ungenügende Einbalsamierung schuld. Der zweite Fall, Prinzessin Meritamun aus der 18. Dynastie, starb durch einen Herzinfarkt. Weil die Einbalsamierer nicht abwarteten, bis die Leichenstarre abgeklungen war, wurde der Gesichtsausdruck der sterbenden Prinzessin mitkonserviert.

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Warum die „schreiende Mumie“ CIT8 mit einem so verzerrten Gesicht erhalten blieb, haben Saleem und El-Merghani nun näher untersucht. Mithilfe eines hochauflösenden Computertomografen führten sie eine virtuelle Autopsie durch, außerdem analysierten sie Proben von Haut, Haaren und der sorgsam arrangierten Perücke der Toten mittels Röntgenstreuung, Spektroskopie und Rasterelektronenmikroskopie.

Perücke
Die sorgfältig gearbeitete, aus dunkel gefärbten Pflanzenfasern bestehende Perücke, hier im Röntgenbild zu sehen, deutet ebenfalls auf einen hohen Stand der Toten hin. © Sahar Saleem/ CC-by 4.0

Einbalsamierung war nicht schuld

Die Analysen enthüllten: Anders als lange angenommen kann das verzerrte Gesicht der Toten nicht auf eine ungenügende oder schlampige Einbalsamierung zurückgehen. Zwar hatte man anders als sonst meist üblich ihre inneren Organe und ihr Gehirn nicht entfernt, dennoch war die Tote mit großem Aufwand und Sorgfalt mumifiziert worden, wie das Team feststellte. Davon zeugen unter anderem die genutzten Ingredienzen, darunter Weihrauch und Wacholder-Harz, die in Ägypten nicht vorkamen.

„Dies belegt, dass diese Ägypterin mit teuren, importierten Zutaten einbalsamiert worden ist – auch das Grab des Tutanchamun enthielt Weihrauch und Wacholder“, sagt Saleem. „Zusammen mit dem guten Erhaltungszustand der Mumie widerlegt dies die Annahme, dass ein Nicht-Entfernen der inneren Organe auf eine minderwertige Einbalsamierung hindeutet.“ Zudem sei es auch bei Pharaonen der 18. Dynastie und ihren Angehörigen üblich gewesen, die Gehirne unangetastet zu lassen.

Hatte CIT8 eine Krankheit?

Demnach ist eine schlechte Einbalsamierung wohl nicht die Ursache für den aufgerissenen Mund der „schreienden Mumie“ – aber was dann? Im nächsten Schritt suchten Saleem und El-Merghani nach Hinweisen auf die Todesursache der Ägypterin. Ihren Analysen zufolge war diese Frau bei ihrem Tod 48 Jahre alt und bei relativ guter Gesundheit. „CT-Aufnahmen zeigen milde degenerative Veränderungen an Knochen, Gelenken und Wirbelsäule, wie sie für einen Menschen im mittleren Alter typisch sind“, so das Team.

Zudem fehlten der Frau einige Zähne, die möglicherweise im Rahmen von Zahnbehandlungen gezogen worden waren. Hinweise auf schwerwiegende Zahn- oder Kieferentzündungen fanden sich aber nicht – und auch sonst keine Indizien für eine tödliche Krankheit.

In Agonie erstarrt

Doch woran ist die Frau dann gestorben? „Die CT-Scans der schreienden Mumie zeigen uns ihre Todesursache nicht und liefern auch keine eindeutige Erklärung für ihr Aussehen“, schreiben die Forschenden. Allerdings haben sie dennoch eine Vermutung zur Ursache ihres verzerrten Gesichts: „Der Grund könnte ein sogenannter Kadaver-Krampf gewesen sein“, erklärt Saleem. Anders als die Leichenstarre tritt diese starke spastische Verkrampfung direkt nach dem Tod ein und betrifft nur einzelne Muskelgruppen, nicht den ganzen Körper.

„Diese Muskelstarre kann bei starker emotionaler Erregung oder Gewalteinwirkung auftreten“, erklärt Saleem. Er und sein Team haben einen solchen Kadaver-Krampf schon zuvor bei einem hingerichteten Pharao entdeckt. „Er könnte darauf hindeuten, dass diese Frau bei ihrem Tod vor Qualen und Schmerzen schrie“, sagt der Forscher. Ihr in Agonie verzerrtes und verkrampftes Gesicht versteifte sich dann durch den Kadaver-Krampf und ließ sich auch nach dem Tod nicht mehr lösen. Das könnte erklären, warum die Einbalsamierer den Mund der Toten nicht wie sonst üblich schließen konnten.

Todesursache bleibt ein Rätsel

Was jedoch die Agonie der Ägypterin auslöste, bleibt weiter rätselhaft. „Die wahre Geschichte und die Todesumstände der als CIT8 bekannten Frau sind unbekannt. Wir können daher die Ursache für ihr Schreien nicht mit Sicherheit ermitteln“, erklären die Forschenden. Dennoch sei die schreiende Mumie ein weiteres Beispiel dafür, wie solche Überreste wertvolle Einblicke in die Vergangenheit geben. (Frontiers in Medicine, 2024; doi: 10.3389/fmed.2024.1406225)

Quelle: Frontiers

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