Neue Indizien: Woher stammt das Zinn von Uluburun? Die Zinnbarren aus dem berühmten Bronzezeit-Schiffswrack in der heutigen Türkei könnten eine andere Herkunft haben als gedacht. Bislang galt Zentralasien als Ursprung des seltenen Schwermetalls, das in der Bronzezeit weit gehandelt wurde. Doch einer neuen Studie zufolge stammt das Zinn eher aus Minen in Cornwall oder im Erzgebirge. Die genaue Herkunft des Materials bleibt aber weiter ungeklärt – und damit auch die frühen Handelswege der Globalisierung.
In der Bronzezeit verwendeten die Menschen zur Herstellung von Waffen und anderen Gegenständen vermehrt die Kupfer-Zinn-Legierung Bronze, weil sie härter ist als reines Kupfer. Doch wo kamen die dafür notwendigen Rohstoffe her? Während Kupfererze in vielen Regionen der Welt vorkamen, konnten Zinnerze damals nur an wenigen Orten in Zentralasien und Europa abgebaut werden. Dennoch fanden Archäologen auch Gegenstände aus Bronze in Regionen, in denen kein Zinn abgebaut werden konnte, etwa in Mesopotamien in Vorderasien. In diese Gebiete gelangte das Schwermetall nur über den Fernhandel.
Rätsel um Herkunft des Zinns von Uluburun
Bis heute rätseln Archäologen, Naturwissenschaftler und Historiker daher, aus welchen Minen das Zinn stammt, aus dem in der Bronzezeit Schwerter, Helme, Armreife, Teller oder Krüge hergestellt wurden. Von der Antwort versprechen sich die Fachleute Erkenntnisse über damalige kulturelle Verbindungen und Handelsbeziehungen zwischen Zentralasien, Mesopotamien, Nordafrika, dem östlichen Mittelmeerraum und Europa. Die Frage dahinter: Wo und wie begann damals die Globalisierung?
Besonders von einem berühmten, über 3.000 Jahre alten Fundstück erhoffen sich Archäologen die entscheidenden Hinweise: Um 1320 vor Christus sank vor der Westküste der heutigen Türkei bei Uluburun ein Handelsschiff mit zehn Tonnen Kupfer- und einer Tonne Zinnbarren an Bord. Das Wrack wurde 1982 entdeckt und seine reichhaltige Ladung von Unterwasserarchäologen geborgen. Es ist der bis heute größte Rohstofffund aus der Bronzezeit. Nach der Herkunft des Materials suchen Forschende nun seit vier Jahrzehnten.
Stammt das Zinn aus Zentralasien?
Vor knapp einem Jahr, im November 2022, berichtete ein Forschungsteam um Wayne Powell vom Brooklyn College in New York, es habe die Herkunft des Zinns aus dem Schiffswrack von Uluburun endlich eindeutig bestimmt: Es stamme aus Zentralasien. Powell und sein Team hatten für ihre Studie Proben von fast 91 Prozent der Zinnbarren aus dem Wrack genommen und ihre chemische und isotopische Zusammensetzung analysiert. Diese Werte verglichen sie mit Zinnerz-Proben aus verschiedenen theoretisch infrage kommenden Minen in Eurasien.
Dabei fanden die Forschenden übereinstimmende Signaturen bei den Isotopen der Elemente Zinn und Blei und dem Anteil des Spurenelements Tellurium bei Zinnvorkommen im Taurus-Gebirge nahe der heutigen türkisch-syrischen Grenze sowie aus Lagerstätten in Tadschikistan und Usbekistan. Sollte das Zinn von Uluburun tatsächlich aus diesen Minen stammen, wären die Zinnbarren Tausende Kilometer gereist.
Interpretation lückenhaft
Doch dem widerspricht jetzt ein Forschungsteam um Daniel Berger vom Curt-Engelhorn-Zentrum Archäometrie (Ceza) in Mannheim. Die früheren Analysen seien wahrscheinlich größtenteils richtig, aber bei weitem nicht ausreichend, um eine klare Antwort zu geben. „Die Daten geben diese Interpretation nicht her, sie lassen keinen eindeutigen Schluss zu“, sagt Berger. Powell und sein Team hätten zudem weitere Herkunftsmöglichkeiten außen vor gelassen. Zudem seien die verglichenen Proben in ihrer Zusammensetzung weniger ähnlich als behauptet.
Neue Analysen deuten auf europäischen Ursprung hin
Im Rahmen ihrer neuen Studie überprüften die Wissenschaftler um Berger zunächst die chemischen und isotopischen Analysen von Powells Team. Zudem betrachteten sie die Ergebnisse weiterer vorangegangener Studien zum Vorkommen von Zinnerzen und deren Verarbeitung, die Powells Team nicht berücksichtigt hatte. Dabei verglichen sie das Zinn von Uluburun auch mit anderen Zinnbarren aus der Bronzezeit, die aus Großbritannien und Israel stammen.
Bergers Team kommt so zu dem Schluss, dass das Zinn auf keinen Fall, wie angenommen, aus der Lagerstätte Muschiston in Tadschikistan stammt und wahrscheinlich auch nicht aus Anatolien. Zumindest ein Teil der Zinnbarren aus dem Schiffswrack stamme „weitaus wahrscheinlicher“ aus Cornwall in Großbritannien. „Letztendlich ist aber auch die Herkunft aus dem Erzgebirge, von der Iberischen Halbinsel oder aus dem Pamir-Gebirge in Zentralasien nicht auszuschließen“, so Berger. Um diese Vermutungen zu untermauern, brauche es aber erst mehr Proben und Analysen von Erzen aus europäischen und asiatischen Zinnlagerstätten.
Über etablierte Handelswege transportiert
Ihre Vermutung stützen Berger und seine Kollegen auch auf den Forschungsstand zu den damaligen Handelswegen. „Zahlreiche archäologische Beweise zeigen, dass die britischen Inseln und Zentraleuropa in der Bronzezeit mit dem Mittelmeerraum eine ökonomische Sphäre bildeten und über Flüsse und das Meer als Transportwege verbunden waren“, sagt Seniorautor Ernst Pernicka von der Universität Tübingen. Im Handelsschiff von Uluburun seien beispielsweise auch Bernsteinperlen gefunden worden, die wahrscheinlich aus dem Baltikum stammen.
Diese und weitere im Wrack gefundene Güter sprechen dafür, dass die Ladung des Schiffs das Ergebnis intensiver Handelsbeziehungen innerhalb eines bronzezeitlichen Fernhandelsnetzes war, das Europa und den Nahen Osten umfasste, berichten die Forschenden. Zinn, einer der wichtigsten Rohstoffe der Bronzezeit, wurde damals ebenfalls über diese Verbindungen gehandelt.
Mit standardisierten Gewichten abgewogen
Gegen eine Herkunft des Zinns aus Zentralasien spricht nach Ansicht der Archäologen zudem, dass zum Abwiegen der Zinnbarren standardisierte Gewichte verwendet wurden. Für Zentralasien lassen sich aber laut Pernicka für die Zeit, in der das Schiff bei Uluburun in der Türkei gesunken ist, weder solche Gewichtssysteme noch Handelsverbindungen in den Westen nachweisen. Das mache eine Herkunft des Zinns aus Zentralasien unwahrscheinlich und erhärte die Vermutung seines Teams, dass das Material aus dem Westen stammt.
„Auch 40 Jahre nach dem Fund von Uluburun bleibt das Zinnrätsel bestehen, auch wenn wir uns der Lösung durch Anwendung neuer Methoden immer mehr annähern“, fasst Pernicka zusammen. Das Wissen darum, wie komplex sich die Globalisierung entwickelte, bleibt damit weiter lückenhaft. (Frontiers in Earth Science, 2023; doi: 10.3389/feart.2023.1211478)
Quelle: Eberhard Karls Universität Tübingen