Mythos widerlegt: Die Belagerung der Wüstenfestung Masada vor rund 2.000 Jahren dauerte nicht mehrere Jahre, sondern nur wenige Wochen, wie Archäologen herausgefunden haben. Die Römer eroberten die von jüdischen Rebellen besetzte Anlage im heutigen Israel in der für das römische Imperium üblichen Geschwindigkeit und mit strategischer Präzision. Den legendären „großen jüdischen Aufstand“ gab es demzufolge nicht – zumindest war er nicht von langer Dauer. Warum die Römer die abgelegene Festung einnahmen, bleibt jedoch weiterhin unklar.
Im Jahr 73 nach Christus, auf dem Höhepunkt des Jüdischen Krieges, belagerte die römische Armee die auf einem Gipfelplateau in der Judäischen Wüste gelegene Palastfestung Masada im heutigen Israel. Sie ist „eine weltberühmte Stätte, die seit dem frühen 19. Jahrhundert und während des gesamten 20. Jahrhunderts ausgiebig erforscht wurde“, erklärt Seniorautor Guy Stiebel von der Universität Tel Aviv. „Dank der abgelegenen Lage und des Wüstenklimas ist es das am besten erhaltene römische Belagerungssystem der Welt.“ Es besteht aus acht Armeelagern, einer mit Türmen versehenen Steinmauer, die den Großteil des Geländes umgibt, und einer hölzernen Angriffsrampe auf Masada.
Mythos des jüdischen Aufstandes
Einer gängigen Theorie zufolge brauchten die Römer ganze drei Jahre, um die einstige Festung von König Herodes zu erobern, in der sich einige hundert jüdische Rebellen verschanzt hatten. „Die Dauer der Belagerung ist ein wichtiges Element in dieser Erzählung, weil sie darauf hindeutet, dass es für die glorreiche römische Armee sehr schwierig war, die Festung einzunehmen und ihre Verteidiger zu vernichten”, sagt Stiebel.
Den historischen Berichten zufolge belegt der Kampf um Masada einen „großen jüdischen Aufstand“ gegenüber den Römern. Doch hinreichende wissenschaftliche Belege dafür gab es bislang keine. Im Gegenteil: Einzelne Funde nähren Zweifel an dieser Darstellung. Ist die anhaltende und zermürbende Belagerung vielleicht nur ein Mythos?
Re-Analyse mit modernen Methoden
Dies hat nun ein Team um Stiebel und Erstautor Hai Ashkenazi von der Goethe-Universität in Frankfurt am Main erstmals systematisch überprüft. Dafür analysierten die Archäologen die Überreste der Belagerung in der Gegend um Masada mittels Luftaufnahmen per Drohnen und Fernerkundungs-Techniken wie präziser GPS-Lokalisation. Diese modernen Technologien standen bei früheren Ausgrabungen noch nicht zur Verfügung.
„Wir fokussierten uns auf drei Aspekte: die Wassersysteme, die Wege, die zur und von der palastartigen Festung Masada führen, und das römische Belagerungssystem“, erklärt Stiebel. Anschließend werteten die Forscher die Messdaten mit Computermodellen aus und generierten daraus digitale 3D-Modelle der Gegend. Daraus berechneten sie wiederum, wie groß die römische Anlage war und wie lange es dauerte, sie zu errichten.
„Es gibt verlässliche Schätzungen über die Menge an Erde und Steinen, die ein römischer Soldat an einem Tag bewegen konnte. Wir wissen auch, dass etwa 6.000 bis 8.000 Soldaten an der Belagerung von Masada teilgenommen haben“, sagt Ashkenazi. „So konnten wir berechnen, wie lange sie gebraucht haben, um das gesamte Belagerungssystem aufzubauen.“
Die Römer „kamen, sahen und eroberten“ Masada
Das Ergebnis: Entgegen dem Mythos dauerte die Belagerung nicht mehrere Jahre, sondern ging wahrscheinlich viel schneller vonstatten. „Wir stellten fest, dass der Bau der gesamten Anlage nur etwa zwei Wochen dauerte. Aufgrund der antiken historischen Zeugnisse ist klar, dass die Römer nach Fertigstellung der Angriffsrampe einen brutalen Angriff starteten und die Festung schließlich innerhalb von höchstens wenigen Wochen einnahmen“, berichtet Ashkenazi.
Die Archäologen schließen daraus, dass die gesamte Belagerung von Masada nicht länger als einige Wochen dauerte. „Wie es alle Imperien im Laufe der Geschichte getan haben, kamen, sahen und siegten auch die Römer und schlugen den Aufstand an diesem abgelegenen Ort schnell und brutal nieder“, so Stiebel.
Dabei nutzte das römische Militär ein sorgfältig geplantes und strategisch errichtetes Belagerungssystem, wie die Analysen ergaben. Dazu zählt in Masada die bis zu 2,5 Meter hohe, rund zwei Meter breite und insgesamt 4.300 Meter lange Mauer. Sie diente sowohl als Hindernis und psychologische Abschreckung für Angreifer als auch als Plattform für Gegenangriffe. Dafür errichteten die Römer mindestens 15 Türme von etwa 3,5 Meter Höhe entlang der Mauer und versahen die Innenseite der Mauer mit Treppen. So konnten die Soldaten aus erhöhter und überlegender Position kämpfen.
Warum war die Festung so wichtig?
Nach Ansicht der Forschenden bleiben dennoch einige Fragen zu diesem historischen Ereignis offen, die sie nun in Folgestudien beantworten wollen. Unklar ist zum Beispiel weiterhin, warum sich die Römer so viel Mühe gaben, diese abgelegene Festung zu erobern, als der Jüdische Krieg für sie bereits gewonnen schien. Vermutungen zufolge war die Eroberung vor allem symbolischer Natur und diente als Machtdemonstration und Botschaft an andere jüdische Rebellen. Zugleich könnte der Sieg die Moral und das Selbstvertrauen der römischen Armee gestärkt haben. (Journal of Roman Archaeology, 2024; doi: 10.1017/S1047759424000084)
Quelle: Universität Tel Aviv