Gegen die Kälte: Schon vor 300.000 Jahren nutzten unsere Vorfahren Bärenfelle, um sich gegen die Kälte zu schützen, wie Funde im niedersächsischen Schöningen belegen. Dort haben Frühmenschen der Art Homo heidelbergensis Schnittspuren auf den Fußknochen von Höhlenbären hinterlassen, wie sie typischerweise beim Abziehen des Fells entstehen. Das deutet darauf hin, dass schon diese frühen Vertreter der Menschheit Höhlenbären jagten und ihr Fleisch und ihr Fell für sich nutzten.
Der ehemalige Braunkohletagebau von Schöningen im nördlichen Harzvorland ist eine herausragende Fundstätte: Dort haben Archäologen zahlreiche Funde aus der Zeit des Homo heidelbergensis vor rund 300.000 Jahren gemacht, dem mutmaßlichen Bindeglied zwischen Homo erectus und dem Neandertaler. Darunter ist auch ein Jagdlager mit tausenden Tierknochen, Steinwerkzeugen, einem Wurfholz, einem angekohlten „Bratspieß“ und mehreren mehr als zwei Meter langen Holz- und Wurfspeeren – den ältesten der Welt.
Verräterische Schnittspuren
Jetzt gibt es einen weiteren spannenden Fund aus Schöningen: Ivo Verheijen von der Universität Tübingen und seine Kollegen haben auf den Mittelfuß- und Fingerknochen eines Höhlenbären auffallende Schnittspure entdeckt. „Schnittspuren auf Knochen werden in der Archäologie oft als Hinweis auf die Verwertung von Fleisch interpretiert“, erklärt Verheijen. „Doch an Hand- und Fußknochen ist kaum Fleisch zu gewinnen.“ Es sei daher unwahrscheinlich, dass diese feinen Einritzungen bei der Schlachtung des Bären entstanden seien.
Stattdessen deutet die Lage und Anordnung der Schnittspuren auf eine andere Bearbeitung hin: „In diesem Fall können wir solch feine und präzise Schnittspuren auf das sorgfältige Abziehen des Fells zurückführen“, sagt Verheijen. „Diese neu entdeckten Schnittspuren sind ein Hinweis darauf, dass die Menschen in Nordeuropa vor etwa 300.000 Jahren im Winter auch dank warmer Bärenfelle überleben konnten.“
Ältester Beleg für Kälteschutz durch Felle
Die jetzt entdeckten Schnittspuren sind der weltweit älteste Beleg für ein Abziehen von Fell und damit eine Nutzung dieser Ressource durch Frühmenschen. „Tiere wurden also nicht nur für die Ernährung genutzt, sondern auch ihre Felle waren für das Überleben in der Kälte unerlässlich“, sagt Ausgrabungsleiter Nicholas Conard von der Universität Tübingen. Im weitesten Sinne könne die Versorgung mit Bärenfellen als eine der ältesten aktiven Anpassungen früherer Menschen an das Klima im Norden angesehen werden.
Die in der Altsteinzeit im Gebiet des heutigen Deutschlands noch häufig vorkommenden Höhlenbären besaßen ein Winterfell, das durch seine Struktur besonders kälteisolierend und warm war. Es bestand aus langen Deckhaaren, die eine luftige Schutzschicht bilden, und aus kurzen, dichten Haaren, die besonders gut isolieren.
Hinweise auf gezielte Jagd der Höhlenbären
Doch wie beschafften sich die Frühmenschen diese Bärenfelle? Waren sie nur Nutznießer von zufällig gefundenen Bärenkadavern oder jagten sie die wehrhaften Tiere? „Der Fundort Schöningen spielt eine entscheidende Rolle in der Diskussion um den Ursprung der Jagd, denn hier wurden die weltweit ältesten Speere entdeckt“, sagt Verheijen. Auch die vielen Tierknochen im Jagdlager des Homo heidelbergensis belegen, dass diese Frühmenschen aktiv auch größere Tiere jagten.
Nach Ansicht der Wissenschaftler müssen die Frühmenschen auch die Höhlenbären gezielt gejagt haben: „Wenn an einer archäologischen Fundstelle ausschließlich erwachsene Tiere gefunden werden, gilt dies in der Regel als Indiz für die Jagd – und in Schöningen gehörten alle gefundenen Knochen und Zähne von Bären zu erwachsenen Individuen“, berichtet Verheijen. Zudem müsse ein Bärenfell zeitnah nach dem Tod des Tieres abgezogen werden, da sonst die Haare verlorengehen und das Fell unbrauchbar wird. (Journal of Human Evolution, 2022; doi: 10.1016/j.jhevol.2022.103294)
Quelle: Eberhard Karls Universität Tübingen