Fund an überraschendem Ort: In einem englischen Steinbruch sind Arbeiter auf ein Schiffswrack gestoßen – mehr als 300 Meter von der Küste entfernt. Die gut 100 Holzplanken und Balken entpuppten sich als Relikte eines Schiffs aus dem elisabethanischen Zeitalter – einer Blütezeit für den englischen Schiffsbau. Offenbar lief das Schiff vor gut 450 Jahren auf Grund, als die Küste noch weiter landeinwärts lag als heute und blieb dann Sediment des Steinbruchs konserviert.
Ob Frachtensegler der Hanse, spanische Galeonen oder mit Kanonen ausgestattete Kriegsschiffe wie die schwedische Wasa oder die englische Mary Rose: Das 16. und 17. Jahrhundert war eine Zeit der Seefahrer, des Seehandels und der großen Seeschlachten. Die große Nachfrage nach seetüchtigen und wehrhaften Schiffen löste damals eine Blütezeit des Schiffsbaus in England und Nordeuropa aus und führte zu neuen Schiffstypen und Technologien.
Ein Schiffsrumpf in einem Steinbruch
Ein Wrack aus dieser Hochzeit des englischen Schiffbaus hat sich nun an einem ungewöhnlichen Ort angefunden. Denn die Balken und Planken des Schiffsrumpfs wurden nicht am Grund des Meeres oder eines Flusses entdeckt, sondern auf dem trockenen Land: Arbeiter haben das Wrack im Sediment eines Steinbruchs in der englischen Grafschaft Kent gefunden. Sie verständigten daraufhin Archäologen von Wessex Archaeology und Historic England, die den Fund näher untersuchten.
Bei dem Wrack handelt es sich um den hölzernen Rumpf eines Schiffs, von dem rund 100 Eichenplanken und Balken erhalten sind. Der dendrochronologischen Analyse zufolge stammt das Holz von Bäumen, die zwischen 1558 und 1580 gefällt worden waren. Das Schiff muss demnach aus dem elisabethanischen Zeitalter stammen und damit aus einer Zeit, in der der Seehandel eine immer wichtigere Rolle für Englands Wohlstand und Macht in Europa spielte.
Seltenes Zeugnis des elisabethanischen Schiffbaus
„Ein Schiff aus dem späten 16. Jahrhundert im Sediment eines Steinbruchs zu finden, war ziemlich unerwartet, aber sehr willkommen“, sagt Andrea Hamel von Wessex Archaeology. „Das Schiff hat das Potenzial, uns einiges über eine Zeitperiode zu verraten, aus der nur wenige Zeugnisse des Schiffbaus erhalten geblieben sind.“ Denn nur wenige Schiffswracks aus dieser Zeit haben bis heute überdauert. Um welches Schiff es sich bei dem Wrack handelt, ist allerdings bisher nicht bekannt.
Nähere Untersuchungen der Wrackteile ergaben, dass dieses Schiff bereits in der Kraweeltechnik gebaut war: Während bei der Klinkertechnik der Wikingerboote die Schiffsplanken überlappend angebracht und direkt miteinander verbunden wurden, ist dies bei der damals für Nordeuropa relativ neuen Kraweeltechnik anders: Bei ihr werden die Planken Kante an Kante auf einem zuvor gefertigten Skelett befestigt. Der Rumpf ist dadurch glatter und belastbarer.
„Die Überreste dieses Schiffs sind daher wirklich bedeutsam, denn sie helfen uns, das Spektrum des Schiffbaus und Seehandels in dieser dynamischen Periode besser zu verstehen“, sagt Antony Firth von Historic England.
Wie kam das Schiff an Land?
Doch wie kam das Schiff in den Steinbruch? Der Fundort liegt heute mehr als 300 Meter von der Küste entfernt auf einer Landspitze. Die Archäologen gehen aber davon aus, dass die Küstenlinie vor gut 450 Jahren weiter landeinwärts lag. Das Schiff könnte dort versehentlich auf den kiesigen Grund gelaufen sein, denkbar wäre aber auch, das es am Ende seiner Dienstzeit absichtlich auf Grund gefahren und liegengelassen worden ist.
Um die wertvollen Relikte zu erhalten, wurden die hölzernen Überreste des Wracks nicht geborgen, sondern nur mittels Laserscanning und digitalen Aufnahmen kartiert. Außerdem entnahmen die Archäologen mehrere Holzproben. Sobald diese Arbeiten abgeschlossen sind, wird der Rest des Schiffswracks wieder im Schlick des Steinbruchs vergraben, um die jahrhundertealten Relikte möglichst gut zu konservieren.
Quelle: Wessex Archaeology