Verschiebung im Menschenstammbaum: Die berühmten Australopithecus-Fossilien aus der Sterkfontain-Höhle in Südafrika sind eine Million Jahre älter als angenommen, wie nun eine Neudatierung enthüllt. Die Vormenschen-Relikte stammen demnach schon aus der Zeit vor 3,4 Millionen Jahren – und sind damit genauso alt oder älter als vergleichbare Funde aus Ostafrika. Das wirft ein neues Licht auf Rolle des südlichen Afrika als „Wiege der Menschheit“, wie die Forschenden berichten.
In der Sterkfontain-Höhle in Südafrika wurden mehr Fossilien der Vormenschen-Gattung Australopithecus gefunden als irgendwo sonst auf der Welt. Zu den hunderten Fundstücken gehören so bekannte Fossilien wie der Schädel „Mrs. Ples“ oder „Little Foot„, das vollständigste Skelette eines Australopithecus überhaupt. Der größte Teil dieser Relikte stammt von der Art Australopithecus africanus und wurde in der nahe an der Oberfläche liegenden „Member 4“-Kammer der Höhle gefunden.
Wie alt sind Mrs. Ples und Co?
Strittig war jedoch bisher, aus welcher Zeit die Vormenschen-Fossilien von Sterkfontain stammen. Weil das Dach der „Member 4“-Kammer eingestürzt ist, sind die Fundschichten teilweise durcheinander geraten, was die Datierung erschwert. Bisherige Versuche auf Basis von Tierknochen ergaben eine weite Spanne von einer Million bis vier Millionen Jahren, eine Uran-Blei-Datierung von Kalkablagerungen und Tropfsteinen kam hingegen auf ein Alter von nur zwei bis 2,65 Millionen Jahren.
Das aber würde bedeuten, dass die Australopithecinen von Sterkfontain viel später lebten als ihre Artgenossen in Ostafrika, darunter auch die rund 3,2 Millionen Jahre alte „Lucy„. In Südafrika müsste es dann zudem zeitgleich erste Frühmenschen der Gattung Homo und Populationen der weit primitiveren Australopithecinen gegeben haben – wenn die Datierungen stimmten. Denn die Zuordnung der Tierknochen und Kalkablagerungen zu den Fossilien war durch die nachträglich stark veränderte Höhlengeologie erschwert.
Neudatierung mithilfe kosmogener Nuklide
Um mehr Klarheit zu schaffen, haben nun Darryl Granger von der Purdue University in den USA und seine Kollegen die „Member 4“-Kammer von Sterkfontain und ihren Inhalt einer Neudatierung unterzogen. Dafür analysierten sie steinerne Anhaftungen der Fossilien auf ihren Gehalt an selteen Isotopen hin. Diese kosmogenen Nuklide Aluminium-26 und Beryllium-10 bilden sich im gesteinsbildenden Mineral Quarz, solange dieses an der Erdoberfläche der energiereichen kosmischen Strahlung ausgesetzt ist.
„Als diese Gesteine zusammen mit den Fossilien in die Höhle fielen, begann ihr radioaktiver Zerfall“, erklärt Granger. Der Gehalt dieser Isotope verrät daher, wie lange dieses die Fossilien umhüllende Gestein schon von darüberliegenden Ablagerungen bedeckt ist. „Mit dieser Methode können wir urzeitliche Menschen und ihre Verwandten genauer einer korrekten Zeitperiode zuordnen“, so der Forscher.
Älter als „Lucy“
Das Ergebnis: Die „Member 4“-Kammer und ihr Inhalt sind rund 3,41 Millionen Jahre alt – und damit rund eine Million Jahre älter als bisher angenommen. Die Vormenschen von Sterkfontain waren demnach keine Nachzügler ihrer Gattung, sondern frühe Vertreter der Australopithecinen. Sie lebten sogar früher als die berühmte „Lucy“, die der ostafrikanischen Vormenschenart Australopithecus afarensis angehörte.
„Die neue Datierung spricht dafür, dass die Homininen von Sterkfontain Zeitgenossen der anderen frühen Australopithecus-Arten waren, darunter dem Australopithecus afarensis in Ostafrika“, sagt Koautor Dominic Stratford von der University of the Witwatersrand in Johannesburg. „Damit verschiebt die Datierung auch das Alter eines der bekanntesten Fossilien Südafrikas, von Mrs. Ples, eine Millionen Jahre in die Vergangenheit.“
Neuer Blick auf menschliche Stammesgeschichte
Nach Ansicht der Forschenden wirft dies auch ein neues Licht auf die Rolle Südafrikas in der Menschheitsgeschichte. „Die Neubewertung der Australopithecus-Fossilien aus Member 4 in Sterkfontain hat erhebliche Bedeutung für die Rolle Südafrikas in der Evolution der Homininen“, sagt Stratford. Denn bisher hielt man die Sterkfontain-Vormenschen für zu jung, um die direkten Vorfahren von Paranthropus und ersten Vertretern der Gattung Homo aus Südafrika gewesen zu sein.
„Daher dachte man, dass sich Homo und Paranthropus in Ostafrika entwickelt haben müssen“, so der Forscher. Erst nachträglich seien dann diese Frühmenschen nach Südafrika gelangt. Doch jetzt wird klar, dass diese Gattungen fast eine Million Jahre Zeit hatten, um sich vor Ort aus den südafrikanischen Australopithecus-Arten zu entwickeln. „Die Neudatierung wird daher zweifellos die Debatte darüber neu entfachen, ob die Australopithecus-Vertreter aus Sterkfontain die Vorfahren der späteren Homininen in Südafrika gewesen sein könnten“, sagt Granger. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2022; doi: 10.1073/pnas.2123516119)
Quelle: University of the Witwatersrand, Purdue University