Archäologie

Unglück oder keltisches Opfer-Ritual?

Archäologen suchen nach Ursache für Massentod vor gut 2.100 Jahren

Rekonstruktion der keltischen Brücke
Auf dieser Holzbrücke starben vor gut 2.100 Jahren 20 Menschen keltischer Abstammung. Doch war ihr Tod ein Unfall oder ein Menschenopfer? © Laténium – Parc et musée d'archéologie de Neuchâtel

Prähistorisches CSI: Unter einer keltischen Brücke gefundene Gebeine von 20 Toten geben Archäologen Rätsel auf: Wie fanden diese Kelten vor gut 2.100 Jahren den Tod? Starben sie beim Einsturz der Brücke oder wurden sie möglicherweise absichtlich geopfert? Neue Analysen der Toten liefern nun erste Hinweise. So scheinen damals vorwiegend junge Männer lokaler Herkunft gestorben zu sein. Die meisten von ihnen tragen Spuren schwerer Verletzungen durch stumpfe Gewalteinwirkung. Was aber heißt das für ihre Todesumstände?

Die Kelten bevölkerten während der Eisenzeit fast ganz Europa – auch in Deutschland finden sich viele Zeugnisse dieser Kultur, beispielsweise in Form von Fürstengräbern mit prachtvollen Grabbeigaben . In Mitteleuropa wird diese von etwa 800 vor Christus bis zur Römerzeit dauernde Kulturperiode nach wichtigen Fundstätten auch als Hallstadt- beziehungsweise La-Téne-Zeit bezeichnet. Die vom griechischen Begriff „keltoi“ abstammende Bezeichnung für diese Volksgruppen lässt sich hingegen mit „die Tapferen“ oder „die Kühnen“ übersetzen.

Tatsächlich waren die Kelten nicht sonderlich zimperlich: Sie enthaupteten nach Kämpfen häufig ihre Feinde, um dann die Köpfe als Trophäen zu behalten. Auch rituelle Opfer von Tieren und sogar Menschen kamen vor. Im Kontext solcher Opfer finden sich oft auch absichtlich unbrauchbar gemachte Waffen, beispielsweise umgeknickte Schwerter.

Skelettfund unter Brückentrümmern

Doch ein Fall keltischer Überreste gibt Archäologen bis heute Rätsel auf. Es handelt sich um die Gebeine von rund 20 Menschen, die 1965 bei Bauarbeiten im schweizerischen Cornaux/Les Sauges entdeckt wurden. Diese Knochen lagen am Grund des Flusses Thielle inmitten von Trümmern einer Brücke aus der Keltenzeit vor rund 2.100 Jahren. Auch Skelette von Rindern und Pferde sowie einige Alltagsobjekte und Waffen wurden dort gefunden.

Wie aber gelangten diese Menschen, Tiere und Objekte auf den Grund des Flusses? Was war dort während der Eisenzeit passiert? Bisher ist dies strittig: Einer Hypothese nach lag an dieser Brücke eine Opferstätte der Kelten, denn von ihnen ist bekannt, dass sie ihre Opferrituale oft am Wasser durchführten. Für eine solche Zeremonie könnte auch eine absichtlich geknickte und gefaltete bronzene Schwertscheide sprechen, die ebenfalls in Cornaux/Les Sauges gefunden wurde.

Denkbar wäre aber auch, dass diese rund 20 Menschen samt ihren Tieren bei einem katastrophalen Unglück starben. So könnte eine Sturzflut die Brücke just in dem Moment eingerissen haben, als der keltische Konvoi sie überqueren wollte.

Verletzungen der keltischen Toten
Die Toten von von Cornaux/Les Sauges hatten fast alle schwere Verletzungen und Brüche durch stumpfe Gewalteinwirkung. © Laffranchi et al./ Scientific Reports, CC-by 4.0

Zeitpunkt und Verletzungen passen zum Einsturz…

Um dieses frühgeschichtliche „Cold Case“ zu lösen, haben Zita Laffranchi von der Universität Bern und ihre Kollegen nun diesen Fall noch einmal untersucht. Für ihre Studie unterzogen sie die menschlichen Relikte von Cornaux/Les Sauges einer genauen morphologischen Analyse, ermittelten die Isotopenwerte der Knochen und extrahierten und sequenzierten die DNA der Toten aus der Keltenzeit. „Indem wir uns auf die archäologischen Funde konzentrieren, geben wir denjenigen Menschen eine Stimme, über die nichts in den Geschichtsbüchern steht“, erklärt Laffranchi.

Die Analysen ergaben: Die Toten stammen aus der Zeit zwischen dem dritten und ersten Jahrhundert vor Christus – also etwa aus der Zeit, in der die keltische Brücke einstürzte. Die meisten Toten wiesen zudem mindestens eine schwere Verletzung auf, die ihnen zur Zeit des Todes zugefügt wurde. „Die Morphologie dieser Verletzungen deutet in allen Fällen auf einen heftigen Schlag mit einem stumpfen Objekt hin“, berichtet das Team. Theoretisch könnte dies zu einem tödlichen Unglück passen.

…sonstige Merkmale der Toten aber eher nicht

Allerdings: Bei einem Unglück würde man erwarten, dass Geschlecht und Alter der Opfer mehr oder weniger zufällig verteilt sind. Doch das war nicht der Fall, wie die DNA-Analysen ergaben. Stattdessen waren 15 der 17 erwachsenen Opfer junge Männer. Diese demografische Einseitigkeit könnte auf eine Gruppe geopferter Gefangener oder Sklaven hinweisen, aber auch auf einen von der Sturzflut überraschten Konvoi von Händlern oder Soldaten, wie Laffranchi und ihre Kollegen erklären.

Gegen eine zufällige Gruppe von Passanten spricht allerdings ein weiterer Befund der DNA-Analysen: Die Opfer waren zwar größtenteils lokaler Herkunft, aber keiner von ihnen war mit einem der anderen Toten enger verwandt. „Bei einer zufällig von dem Naturereignis überraschten Gruppe würde man jedoch erwarten, dass zumindest einige der analysierten Toten miteinander verwandt waren“, so das Team. Denn dann wären vermutlich auch Familien unterwegs gewesen und gemeinsam verunglückt.

Zu gut erhalten für ein Menschenopfer?

Doch auch das Szenario eines rituellen Menschenopfers passt nicht richtig zu den Befunden: So fehlten die für solche Opferungen typischen Verletzungen mit scharfen Waffen, zudem waren die Knochenläsionen und Brüche auf ganz unterschiedliche Körperteile verteilt, wie die Forschenden berichten. Ungewöhnlich ist auch der gute Erhaltungszustand der Überreste: Bei mehreren Schädeln sind sogar Reste der des Hirngewebes erhalten, bei anderen die Sehnen und Bänder der Gelenke.

„Dies passt zu einem Szenario, in dem die Körper sehr schnell von Sediment bedeckt wurden“, erklären Laffranchi und ihre Kollegen. Genau dies wäre bei einer Sturzflut und dem katastrophalen Einsturz der Brücke der Fall gewesen. Bei einer Opferung hätten die Leichen der Toten dagegen noch länger am Grund des Flusses gelegen und wären stärker zersetzt worden.

Wie lautet das Urteil?

Was aber bedeutet all dies nun für die Todesursache der 20 Kelten? „“Bei Berücksichtigung all dieser verschiedenen Elemente lässt sich vermuten, dass sich in Cornaux ein heftiger, schneller Unfall ereignet hat“, fasst Seniorautor Marco Milella von der Universität Bern zusammen. Demnach starben die Menschen vermutlich durch den Zusammensturz der Brücke und durch die umherfliegenden Trümmerteile.

Allerdings: Die Befunde können auch das Szenario einer rituellen Opferung nicht vollständig ausschließen. So könnte die Brücke vor der Sturzflut durchaus eine Opferstätte der Kelten gewesen gewesen sein. Es sei nicht auszuschließen, dass sich einige der Leichen bereits vor dem Unfall dort befanden. „Es muss nicht zwingend nur eine der beiden Thesen zutreffen“, sagt Milella. Ein Unfall sei aber die plausiblere Erklärung. (Scientific Reports, 2024; doi: 10.1038/s41598-024-62524-y)

Quelle: Schweizerischer Nationalfonds SNF

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