Uraltes Know-how: In Südspanien gefundene Überreste von Bögen und Pfeilen demonstrieren, wie ausgeklügelt jungsteinzeitliche Jäger vor rund 7.000 Jahren ihre Waffen fertigten – und wie geschickt sie das Material dafür auswählten und kombinierten. Unter den Funden sind auch kunstvoll verdrillte Bogensehnen aus Tiersehnen, die zu den ältesten Europas gehören. Die außergewöhnlich gut erhaltene Ausrüstung offenbart, dass die prähistorischen Bogenschützen handwerklich noch versierter waren als bislang bekannt.
Pfeil und Bogen benutzten unsere Vorfahren in Europa schon vor rund 54.000 Jahren. Bis in die späte Steinzeit nutzten Menschen Pfeil und Bogen, um damit Tiere zu jagen, aber möglicherweise auch für Kriege und Rituale. Für ihre typisch geformten Bögen verwendeten sie überwiegend Eibenholz (Taxus baccata), für die Pfeile jedoch verschiedenste Materialien und Formen. Die Pfeilspitzen bestanden meist aus Steinen, Knochen oder Holz, wie archäologische Funde und Verletzungen an steinzeitlichen Knochen belegen.
Doch aus welchen Materialien und mit welchen Methoden die Menschen damals ihre Bogensehnen und Pfeilschäfte herstellten und womit sie Bögen und Pfeile zusammenbauten, ist kaum bekannt. Denn diese Komponenten der Ausrüstung sind leicht vergänglich und haben daher nur selten überdauert.
Ausgetrocknete Bogenschießausrüstung aus Höhle untersucht
Nun hat ein Team um Ingrid Bertin von der Autonomen Universität Barcelona (UAB) außergewöhnlich gut erhaltene organische Überreste von Pfeilen und Bögen näher untersucht, die spanische Bergleute bereits im 19. Jahrhundert gefunden hatten. Die Artefakte lagen in der Höhle von Los Murciélagos in der südspanischen Provinz Granada und waren durch die trockene Höhlenluft ausgetrocknet und dadurch weitgehend konserviert.
„Eine solche Konservierung bietet eine seltene und außergewöhnliche Chance, die Elemente zu erforschen, die wegen ihrer vergänglichen Natur in der Archäologie sonst meist fehlen“, erklärt das Team. Unter den Funden sind zwar keine Bögen, aber Bogensehnen, Reste von Pfeilen samt Schaft, Pfeilspitzen und Federn sowie Kleber und Fasern, um diese zusammenzuhalten. Bertin und ihre Kollegen nutzten spektroskopische und mikroskopische Analysemethoden, um die verwendeten Materialien zu identifizieren, und untersuchten mithilfe der Radiokarbondatierung, wie alt diese steinzeitlichen Waffen sind.
Jagdausrüstung aus der Jungsteinzeit
Die Analysen ergaben, dass die prähistorische Bogenschießausrüstung in der frühen Jungsteinzeit zwischen 5300 und 4900 vor Christus hergestellt wurde und damit rund 7.000 Jahre alt ist. Sie wurden wahrscheinlich als Grabbeigabe in die Höhle gelegt – eine übliche Praxis zu dieser Zeit, wie das Team erklärt. Nur ein Pfeilschaft erwies sich als bedeutend jünger: „Er stammt aus der Bronzezeit – dies korrespondiert mit der letzten bekannten prähistorischen Nutzung dieser Höhle“, berichten die Archäologen.
Eine Besonderheit sind die beiden steinzeitlichen Bogensehnen. Denn anders als einige ältere Funde solcher Sehnen bestehen sie aus kollagenhaltigen Tiersehnen oder -bändern, wie die Protein- und Lipidanalysen ergaben. Die jungsteinzeitlichen Bogensehnen aus Los Murciélagos zählen damit – neben der Sehne im Bogen der berühmten Gletschermumie Ötzi – auch zu den ältesten tierischen Bogensehnen, die bisher in Europa gefunden wurden.
Die in Spanien gefundenen Bogensehnen stammen von drei heimischen Tierarten: von Rehen, von der Gattung Capra sp., die mehrere Arten von Ziegen und Steinböcken umfasst, sowie von der Gattung Sus sp., zu der Wildschweine und Schweine gehören. „Die Identifizierung dieser Bogensehnen markiert einen entscheidenden Schritt in der Erforschung der neolithischen Waffen. Wir konnten nicht nur die Verwendung von tierischen Sehnen für ihre Herstellung bestätigen, sondern auch die Gattung oder Art des Tieres identifizieren, von dem sie stammen“, sagt Bertin.
Um daraus Bogensehnen zu machen, verdrillten die prähistorischen Erbauer die einzelnen Tiersehnen zu drei Millimeter dicken und rund 30 beziehungsweise 60 Zentimeter langen Konstrukten. „Mit dieser Technik konnten starke und flexible Seile hergestellt werden, um den Bedürfnissen erfahrener Bogenschützen gerecht zu werden“, erklärt Seniorautorin Raquel Piqué von der UAB. „Dieses Maß an Präzision und technischer Meisterschaft, bei dem jedes Detail zählt, zeugt von der außergewöhnlichen Kenntnis dieser jungsteinzeitlichen Handwerker.“
Oliven- und Schilfholz für die Pfeilschäfte
Die Analysen offenbarten auch, woraus die bis zu 30 Zentimeter langen Pfeilschäfte bestehen: Die steinzeitlichen Jäger konstruierten sie aus Weidenholz (Salix sp.), Olivenholz (Olea europaea) und Schilfholz (Phragmites sp) – allesamt lokal wachsende Baumarten. Die bis zu einem Zentimeter dicken, geraden Zweige wurden entrindet, teilweise angespitzt und dann glattpoliert, so dass keine Bearbeitungsspuren auf dem Holz mehr zu erkennen sind.
Dass zur Herstellung von prähistorischen Pfeilen auch Schilfrohr zum Einsatz kam, hatten Archäologen schon lange vermutet. Die Funde aus Spanien bestätigen dies nun endgültig. „Diese Art von Material verleiht einem Pfeil Steifigkeit, gute Schlagfestigkeit, stabilen Flug mit mäßiger Rotation, ein hohes Maß an Zielgenauigkeit und eine wuchtige Durchschlagskraft“, schreibt das Team mit Blick auf Flugversuche von Nachbauten.
Gezielte Holzauswahl für ballistische Eigenschaften
Zudem wurde nun erstmals überhaupt ein Pfeil aus Olivenholz aus der Jungsteinzeit identifiziert. „Schwerere Pfeile aus dichtem Holz wie Olivenholz haben tendenziell weniger Windwiderstand und behalten ihre Flugbahn besser bei, insbesondere über längere Distanzen. Zudem kann Olivenholz zu einer sehr glatten Oberfläche poliert werden. Ein glatter Pfeilschaft verringert die Reibung beim Verlassen des Bogens, was zu einem gleichmäßigeren und präziseren Flug führt“, erklären Bertin und ihre Kollegen.
Interessanterweise nutzten die jungsteinzeitlichen Jäger nicht immer nur eine Holzart für ihre Pfeile, sondern kombinierten in den Schäften auch härteres Olivenholz mit leichterem und flexiblerem Weiden- und Schilfholz. „Diese Integration bietet einen harten und dichten Vorderteil, ergänzt durch einen leichten Rücken, was die ballistischen Eigenschaften der Pfeile deutlich verbessert“, erklärt Bertin.
Dekoration aus Birkenpech und hölzerne Spitzen
Zusätzlich waren die Pfeilschäfte teilweise mit schwarzem Birkenpech beschichtet, wie chemische Analysen ergaben. Dieses teerartige zähe Material entsteht, wenn man Birkenrinde kontrolliert erhitzt. Das Pech imprägnierte und festigte wahrscheinlich den Schaft, könnte aber auch zu dekorativen Zwecken verwendet worden sein, vermuten die Archäologen. Demnach stellten die jungsteinzeitlichen Jäger ihre Bogenschießausrüstung nicht nur nach praktischen und funktionalen, sondern auch ästhetischen Gesichtspunkten her.
Die Pfeilspitzen aus der Höhle bestehen ausschließlich aus Holz ohne Stein- oder Knochenprojektile, wie die Analysen enthüllten. Die Spitzen und die Federn wurden jeweils durch Fasern aus Tiersehnen und wahrscheinlich auch mithilfe des Birkenpechs als Kleber am Schaft befestigt. „Zukünftige Experimente könnten klären, ob diese Pfeile für die Jagd oder den Nahkampf verwendet worden sein könnten oder ob es sich um nicht-tödliche Pfeile gehandelt haben könnte“, so Bertin.
Belege für steinzeitliches Know-how
Die Forschenden schließen aus der Vielfalt der verwendeten pflanzlichen und tierischen Materialien, dass die prähistorischen Jäger bereits ein umfassendes Know-how besaßen in Bezug auf die Eigenschaften organischer Materialien und deren Verarbeitung zu Pfeil und Bogen. Demnach waren diese jungsteinzeitlichen Gemeinschaften technisch versierter als bislang gedacht.
„Die Entdeckungen tragen dazu bei, das Verständnis der handwerklichen Praktiken und des täglichen Lebens prähistorischer Gesellschaften zu bereichern“, sagt Piqué. Mit dem Wissen könnten nun auch weitere Waffen aus anderen archäologischen Stätten aus der europäischen Jungsteinzeit untersucht werden. (Scientific Reports, 2024; doi: 10.1038/s41598-024-77224-w)