Ikone Babylons: Bisher war unklar, wann genau das berühmte Ischtar-Tor von Babylon gebaut wurde und wie weit seine drei Bauphasen zeitlich auseinander lagen. Jetzt haben Magnetanalysen winziger Ziegelsteinproben diese Frage geklärt. Sie enthüllen, dass das Tor um 583 vor Christus fertiggestellt wurde – der babylonische König Nebukadnezar II. erlebte demnach noch die Vollendung seines Bauwerks. Anders als gedacht folgten dabei drei Bauphasen des Tores direkt aufeinander und innerhalb kürzester Zeit.
Das Ischtar-Tor ist eines der bekanntesten Relikte des alten Mesopotamien. Das prachtvoll mit glasierten Ziegelsteinen und Reliefs verzierte Tor mitsamt Prozessionsstraße war einst eines der Stadttore von Babylon. Eingeritzte Inschriften auf Steinen aus der ersten Bauphase belegen, dass der babylonische König Nebukadnezar II. dieses Prachttor in Auftrag gab. Er regierte von 605 bis 562 vor Christus über Babylonien und ist unter anderem für den Turmbau zu Babel sowie die Eroberung Jerusalems und die Zerstörung des dortigen Tempels bekannt.
Wann wurde das Tor gebaut?
Doch wann genau wurde das Ischtar-Tor gebaut? Aus Untersuchungen der Steine geht hervor, dass das Stadttor und die Prozessionsstraße mehrere Bauphasen durchliefen. „Diese Umbauprojekte hingen mit Neubauten der Stadtbefestigungen zusammen und dem Umbau des angrenzenden Palastareals unter Nebukadnezar II.“, erklären Anita Di Chiara vom Nationalinstitut für Geophysik und Vulkanologie in Rom und ihre Kollegen.
Inschriften mit dem Namen Nebukadnezars II. auf den ältesten Steinen des Tores belegen zwar, dass der König das Ischtar-Tor in Auftrag gab. Unklar ist aber, wie weit die drei Bauphasen des babylonischen Tores zeitlich auseinander lagen. „Es ist sogar möglich, dass die letzte Bauphase nicht mehr unter der Herrschaft von Nebukadnezar II abgeschlossen wurde, sondern erst später“, so die Forschenden. Ebenfalls strittig ist, ob das Ischtar-Tor anlässlich des babylonischen Sieges über Jerusalem errichtet wurde oder erst später.
Magnetfeld-Schwankungen als Datierungshelfer
Um Klarheit zu schaffen, haben Di Chiara und ihr Team winzige Proben von Steinen des Ischtar-Tores genommen. Die fünf dafür ausgewählten Lehmziegel werden im Pergamonmuseum in Berlin aufbewahrt und stammen aus den drei Bauphasen des babylonischen Stadttores. Um ihr genaues Alter zu ermitteln, analysierten die Forschenden die beim Brand der Ziegel konservierte Magnetisierung der Steine. Ihr Abgleich mit bereits vorhandenen Daten aus dieser Zeit kann bei der Datierung helfen.
Der Vorteil in diesem Falle: Die babylonische Zeit fällt in die sogenannte Levantinische Eisenzeit-Magnetanomalie (LIAA) – eine Zeit, in der das Erdmagnetfeld im Nahen und Mittleren Osten starke, kurze Fluktuationen zeigte. Erst kürzlich hatten dies magnetische Messdaten von anderen Lehmziegeln aus Mesopotamien bestätigt. „Wir wollten testen, ob wir die schnellen magnetischen Schwankungen der LIAA nutzen können, um die Konstruktionsgeschichte des Ischtar-Tores besser einzugrenzen“, erklären Di Chiara und ihr Team.
Alle drei Bauphasen innerhalb kürzester Zeit
Tatsächlich gelang es den Forschenden, die Steinproben aus dem Ischtar-Tor mithilfe ihrer Magnetisierung relativ präzise zu datieren. Das Überraschende jedoch: Die Proben aller Ziegelsteine stammen aus der gleichen Zeit. „Die Resultate für alle drei Bauphasen sind statistisch nicht unterscheidbar“, schreiben Di Chiara und ihr Team. Alle untersuchten Steine des babylonischen Tores stammen demnach aus der Zeit um 583 vor Christus.
Dies bestätigt, dass das Ischtar-Tor unter König Nebukadnezar II. erbaut wurde – und dass es in kürzerer Zeit fertiggestellt war als bislang angenommen. „Die statistischen Ähnlichkeiten der Proben aus allen drei Bauphasen des Tores zeigen, dass es keine signifikanten zeitlichen Lücken zwischen ihnen gab“, berichtet das Team. „Alle Phasen wurden während der Herrschaft von Nebukadnezar II. abgeschlossen und folgten wahrscheinlich ohne Verzögerung direkt aufeinander.“
Symbol des Sieges über Jerusalem?
Doch war das Ischtar-Tor damit ein Triumphbau zur Feier des babylonischen Sieges über Jerusalem? „Das von uns ermittelte Konstruktionsdatum des Tores stützt zwar die Annahme, dass der Torkomplex nach dem erfolgreichen Feldzug Babylons gegen Judah und Jerusalem im Jahr 586 vor Christus erbaut wurde“, schreiben die Forschenden. Allerdings legen die Magnetfelddaten nahe, dass es einen zeitlichen Abstand zwischen beiden Ereignissen gab.
„Die für die Bauzeit des Ischtar-Tores gemessene Magnetintensität unterscheidet sich signifikant von der in der Zerstörungsschicht von Jerusalem“, berichten Di Chiara und ihre Kollegen. „Wir gehen daher davon aus, dass es eine chronologische Lücke zwischen beidem gab.“ Ob das Ischtar-Tor und die Prozessionsstraße in Babylon demnach wirklich zur Feier des Sieges oder doch erst später gebaut wurden, bleibt damit vorerst offen. (PLoS ONE, 2024; doi: 10.1371/journal.pone.0293014)
Quelle: PLoS ONE