Archäologie

Zwei florierende Bergstädte an der Seidenstraße entdeckt

Orte im usbekischen Hochland waren mittelalterliche Handelszentren

Ausgrabungen mittelalterlicher Keramik in Tugunbulak
Ausgrabungen mittelalterlicher Keramik in Tugunbulak. © M Frachetti

Handel und Industrie im Hochland: Die beiden archäologischen Stätten Taschbulak und Tugunbulak haben sich überraschend als einst wichtige städtische Zentren im Mittelalter entpuppt. Die Orte befinden sich in mehr als 2.000 Metern Höhe in den Bergen Usbekistans und lagen einst an der mittelalterlichen Seidenstraße Asiens. Trotz und gerade wegen ihrer hohen Lage haben solche Bergorte den Handel, die Industrie und die Politik des Mittelalters stärker geprägt als bislang angenommen, wie Archäologen in „Nature“ berichten.

Bergdörfer gibt es überall auf der Welt, doch Städte liegen selten mehr als 2.000 Meter über dem Meeresspiegel. Nur drei Prozent der Weltbevölkerung leben derzeit in Orten auf oder über dieser Höhe, wo die Luft dünn, das Wetter harsch und die Versorgung mühsam ist. In der Vergangenheit, ohne die heutige Technologie, war es noch schwerer, in dieser Höhe Siedlungen zu bauen und Landwirtschaft zu betreiben. Archäologische Stätten in extremen Höhenlagen gelten daher als einzigartig; Belege für große und hochgelegene Orte, die dauerhaft bewohnt waren, gibt es nur selten.

Vermessung aus der Luft

Zwei solcher Städte sind Taschbulak und Tugunbulak. Die 2011 beziehungsweise 2015 entdeckten historischen Orte liegen nur fünf Kilometer voneinander entfernt in den rauen Bergen Usbekistans zwischen 2.000 und 2.200 Metern Höhe – ähnlich hoch wie Machu Picchu in Peru. Während des Mittelalters lagen sie an der berühmten Seidenstraße – jener Handelsroute, die zwischen dem sechsten und elften Jahrhundert Europa mit Asien verband. Doch wie viele Menschen lebten einst in Taschbulak und Tugunbulak und wie sahen die Orte aus?

Diesen Fragen ist nun ein Team um Michael Frachetti von der Washington University in St. Louis nachgegangen. Dafür machten die Archäologen mit Drohnen umfangreiche und hochauflösende LIDAR-Aufnahmen von der grasbewachsenen Gegend in und um Taschbulak und Tugunbulak und analysierten so das Gelände sowie die Lage, Form und Größe einstiger Gebäude. Daraus erstellten sie jeweils einen detaillierten Stadtplan der mit bloßem Auge sonst nicht mehr sichtbaren urbanen Strukturen.

Lidar- und Kammlinien in Tugunbulak
Lidar- und Kammlinien in Tugunbulak. © SAIElab, J. Berner, M. Frachetti

Große Stadt mit kleinem Nachbarn

Die Laserscans offenbaren, dass in Tugunbulak auf einer Fläche von etwa 120 Hektar einst über 300 Bauwerke standen, durchzogen von Straßen und Plätzen. „Damit war sie eine der größten Regionalstädte ihrer Zeit“, sagt Frachetti. Die kleinsten Gebäude umfassten nur 30 Quadratmeter, die größten 4.300. Die Forschenden identifizierten zudem Überreste von Terrassen-Anlagen, Wachtürme, die mit Mauern entlang einer Kammlinie verbunden waren, sowie eine zentrale Festung, die von drei Meter hohen Mauern aus Stein und Lehmziegeln umgeben war.

Das deutlich kleinere Taschbulak umfasste hingegen nur zwölf bis 15 Hektar und rund 100 Bauwerke. Die Gebäude in diesem kleinen Nachbarort waren ähnlich geformt wie in Tugunbulak, aber maximal 70 Quadratmeter groß. Dennoch wurde Taschbulak genauso systematisch angelegt und geplant wie andere, große Städte im mittelalterlichen Zentralasien, wie Frachetti und seine Kollegen feststellten. Es gab dort eine zentrale Zitadelle bestehend aus einem erhöhten Hügel, der von ummauerten Befestigungsanlagen und dichtstehenden Gebäuden einer Unterstadt umgeben war.

Dreh- und Angelpunkte im asiatischen Hochland

Die beiden mittelalterlichen Städte gehören damit zu den größten, die bisher in den Gebirgsabschnitten der Seidenstraße dokumentiert wurden. Sie waren demnach mehr als nur abgelegene Außenposten oder Rastplätze für Handelsreisende: „Dies waren wichtige urbane Knotenpunkte in Zentralasien, insbesondere wenn man aus den Oasen im Tiefland in anspruchsvollere Höhenlagen vordrang“, erklärt Frachetti.

Vor allem das größere Tugunbulak war eine Besonderheit: „Diese Stadt hatte eine komplexe urbane Struktur mit einer spezifischen materiellen Kultur, die sich stark von der sesshaften Kultur des Tieflandes unterschied“, sagt Koautor Farhod Maksudov von der Usbekischen Akademie der Wissenschaften. „Die Menschen, die Tugunbulak vor mehr als tausend Jahren bewohnten, waren nomadische Viehzüchter, die ihre eigene Kultur und politische Ökonomie pflegten.“

Ausgrabungen des Hügels A2 in Tugunbulak
Ausgrabungen des Hügels A2 in Tugunbulak. © M Frachetti

Berglage bot enorme Vorteile

Die Archäologen vermuten, dass diese beiden Städte gezielt in den Bergen des heutigen Usbekistans gebaut wurden – unter anderem, weil das umliegende Berggelände die Verteidigung der Orte erleichterte. Zudem war das Hochland reich an Erzen, Weiden und Wachholderwäldern, die für die Anwohner nützlich waren. „Obwohl sie normalerweise als Barrieren für den Handel und die Bewegung entlang der Seidenstraße angesehen werden, beherbergten die Berge tatsächlich wichtige Interaktionszentren. Tiere, Erze und andere wertvolle Ressourcen trugen wahrscheinlich zu ihrem Wohlstand bei“, so Frachetti.

So deuten erste Ausgrabungen in Tugunbulak beispielsweise darauf hin, dass es sich bei der dortigen Festung um eine Fabrik gehandelt haben könnte, in der Metallschmiede mithilfe der Aufwinde im Gebirge die örtlichen Eisenerze in Stahl verwandelten. Eine solche Industrie hätte maßgeblich die lokale Wirtschaft angekurbelt. „Bei der Seidenstraße ging es nicht nur um die Endpunkte China und Westen“, sagt Frachetti. „Das komplexe Herz des Netzwerks war auch ein Motor für Innovationen.“

Weitere Handelszentren an der Seidenstraße gesucht

Die Archäologen schließen aus ihren Beobachtungen, dass die beiden mittelalterlichen Städte Taschbulak und Tugunbulak nicht nur trotz, sondern auch gerade wegen ihrer ungewöhnlichen Berglage einst wichtige Zentren entlang der Seidenstraße waren. Wie das soziale, ökonomische und politische Leben in diesen Bergstädten genau aussah, sollen nun Untersuchungen von ähnlichen Orten an der Seidenstraße und weitere Ausgrabungen in Taschbulak und Tugunbulak zeigen. (Nature, 2024; doi: 10.1038/s41586-024-08086-5)

Quelle: Nature, Washington University

Keine Meldungen mehr verpassen – mit unserem wöchentlichen Newsletter.
Teilen:

In den Schlagzeilen

News des Tages

Ausgrabungen mittelalterlicher Keramik in Tugunbulak

Zwei florierende Bergstädte an der Seidenstraße entdeckt

Bewegt sich der Erdmantel langsamer als gedacht?

Wiedererweckung des Tasmanischen Tigers rückt näher

Zeigt sich religiöser Fundamentalismus im Gehirn?

Diaschauen zum Thema

Dossiers zum Thema

Marco Polo - Ein Leben zwischen Orient und Okzident

Bücher zum Thema

Top-Clicks der Woche