Neurobiologie

Ablenkung beim Essen dämpft den Geschmack

Studie zeigt, warum man beim Lesen oder Fernsehen während der Mahlzeit mehr isst

Sind wir abgelenkt, schmekcne wir Aromen nur noch gedämpft © SXC

Multitasking funktioniert selten: Man macht nichts richtig und kann den einzelnen Aufgaben nicht die nötige Aufmerksamkeit widmen. Besonders ungünstig ist das offenbar beim Essen, wie jetzt zwei niederländische Forscherinnen herausfanden: Wenn man sich dabei auf eine schwierige Aufgabe konzentriert, leidet nämlich der Geschmackssinn – die Aromen erscheinen flacher und weniger intensiv. Das Problem dabei: Um das auszugleichen, isst man automatisch mehr. Fernsehen oder Lesen beim Essen könnte daher Übergewicht fördern, so die Forscherinnen im Fachmagazin „Psychological Science“.

Für ihre Testreihe rekrutierten Reine van der Wal von der Universität Nijmegen und Lotte van Dillen von der Universität Leiden knapp 100 Studenten. Sie wollten wissen: Nimmt man Geschmackseindrücke weniger gut wahr, wenn man sich eine komplizierte Zahlenfolge merken muss? Sie setzten ihren Probanden jeweils zwei verschiedene Konzentrationen von saurem Zitronensaft oder süßem Grenadinesirup vor oder ließen sie Cracker mit und ohne gesalzene Butter knabbern. Parallel sollten sich die Testteilnehmer entweder eine siebenstellige Zahlen- oder Buchstabenkombination merken oder eine einzelne Ziffer oder Letter. Anschließend mussten sie auf einer Skala von eins bis sieben angeben, wie süß, salzig oder sauer ihnen die Nahrungsmittel vorgekommen waren.

Weniger intensive Aromen bei Ablenkung

Trotz des eher simplen Versuchsaufbaus stellten die Forscherinnen einen deutlichen Unterschied fest: Beschäftigten sich die Teilnehmer beim Essen oder Trinken mit der längeren Zahl, bewerteten sie den Geschmack als weniger intensiv, und zwar bei allen drei Geschmacksrichtungen. Der Effekt war zwar nicht riesig – selbst der stärkste Unterschied lag bei nicht einmal 1,5 Punkten auf der Skala. Er sei jedoch statistisch definitiv signifikant, betonen die Wissenschaftlerinnen. Beim Essen gleichzeitig etwas Anspruchsvolles zu erledigen, gehe daher klar zu Lasten des Geschmackssinns und mache das Aroma der Speisen flach und wenig intensiv.

Welche Auswirkungen dieser dämpfende Effekt hat, zeigten zwei weitere Tests. Im ersten untersuchten die Psychologinnen, wie viele Cracker mit und ohne gesalzene Butter die Probanden während der leichten oder der schweren Aufgabe verzehrten. Das Ergebnis: Waren es bei der leichten Aufgabe nur rund 45 Prozent der Kekse mit Salzbutter, stieg deren Anzahl bei der schweren Aufgabe auf rund 60 Prozent. Ohne den salzigen Aufstrich gab es dagegen keinen Unterschied zwischen den beiden Bedingungen. Die Forscherinnen schließen daraus, dass wir unbewusst den durch die Ablenkung gedämpften Salzgeschmack kompensieren – indem wir mehr Salziges essen.

Etwas Ähnliches zeigte auch der zweite Zusatztest, in dem die Forscherinnen die Teilnehmer baten, sich eine Grenadine-Wasser-Mischung nach ihrem persönlichen Geschmack zusammenzustellen. Hier zeigte sich: Wer sich stark auf den Gedächtnistest konzentrieren musste, gab mehr süßen Sirup in sein Getränk als bei der leichteren Aufgabe – obwohl die Bewertung der Drinks anschließend exakt gleich ausfiel. In diesem Falle kompensierten die Probanden demnach das gedämpfte Aroma unbewusst durch eine höhere Konzentration der entsprechenden Geschmacksstoffe.

Gehirn hat nur begrenzte Aufmerksamkeits-Kapazitäten

Schuld an diesem Effekt ist nach Ansicht der Forscherinnen vermutlich das Dilemma, das fast allen Multitasking-Probleme zu Grunde liegt: Das Gehirn hat nur eine begrenzte Aufmerksamkeits-Kapazität. Wird diese auf mehrere Aufgaben verteilt, bleibt für die einzelnen entsprechend weniger übrig. Überraschend erscheine auf den ersten Blick allerdings, dass dieses Prinzip auch für Sinneseindrücke gelte, so die Wissenschaftlerinnen. Denn ein Geschmackseindruck kommt zunächst durch die Wechselwirkung von Aromastoffen mit speziellen Geschmacksrezeptoren zustande – an diesem Punkt spielen das Gehirn und die Aufmerksamkeit noch keine Rolle, könnte man meinen.

Das stimmt allerdings so nicht ganz, wie van der Wal und van Dillen erklären. Denn tatsächlich entsteht ein Geschmackseindruck erst dann, wenn dass das Gehirn den Input von allen Sinnen zusammenrechnet, die für das Essen relevant sind – also Auge, Nase und Tastsinn, manchmal sogar auch das Gehör. Und für dieses Zusammenrechnen brauche das Gehirn nun mal Kapazitäten, so die Forscherinnen.

Schuld an zunehmendem Übergewicht?

Van der Wal und van Dillen halten es durchaus für möglich, dass das jetzt im Labor beobachtete Phänomen zumindest mit Schuld ist an der aktuellen Übergewichts-Epidemie. Denn in den vergangenen Jahren sei es zunehmend üblich geworden, während des Essens noch etwas anderes zu tun – arbeiten, fernsehen, lesen, Musik hören und Ähnliches.

Parallel sei in vielen Restaurants die Menge an Salz und Fett im Essen deutlich angestiegen – möglicherweise um den durch Ablenkungen gedämpften Geschmack auszugleichen. Es könne daher lohnend sein, bei Programmen gegen das Übergewicht das Augenmerk auch auf die Umstände zu richten, in denen die Mahlzeiten eingenommen werden – und Multitasking beim Essen möglichst abzustellen. (Psychological Science, 2013; doi: 10.1177/0956797612471953)

(Psychological Science, 07.06.2013 – ILB)

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