Schon vor 130.000 Jahren lebten Neandertaler im Gebiet des heutigen Brandenburg. Das belegen jetzt Feuerstein-Werkzeuge aus dieser Zeit, die Forscher in einem Tagebau in Brandenburg entdeckt haben. Damit war diese Gegend schon während der Saale-Eiszeit besiedelt – 90.000 Jahre früher als bisher angenommen. Tierknochen und Pflanzenreste zeigen, dass damals an dieser Stelle eine wasserreiche Senke mit Sanddorn, Birken und Moosen lag. Klima und Vegetation entsprachen dem im heutigen Norden Skandinaviens.
Der Tagebau Jänschwalde bei Cottbus ist unter Paläontologen schon lange als reichhaltiger Fundort bekannt. Bereits 1885 hatten Forscher am Rande des Tagebaus Wirbeltierknochen entdeckt, die aus der Zeit vor rund 130.000 Jahren stammten – dem Ende der Saale-Eiszeit. Auch der erste Fund eines Mammutskeletts in Deutschland wurde hier im Jahr 1903 gemacht. Das Brandenburgische Landesamt für Denkmalpflege führt zudem jedes Jahr im Braunkohlenrevier der Niederlausitz 30 bis 40 größere Grabungen durch. Dabei wurden auch bereits 13.000 Jahre alte Feuersteinwaffen entdeckt, die steinzeitlichen Rentierjägern gehörten.
Tierknochen und Schaber
Bei den jüngsten Grabungen allerdings stießen Archäologen des Landesamtes und Paläontologen der Freien Universität Berlin in 20 Metern Tiefe auf bisher einzigartige Schätze: Neben Knochen verschiedener eiszeitlicher Tiere wie Wolf, Pferd, Elch und Bison, fanden sie Werkzeuge aus Feuerstein, die bereits 130.000 Jahre alt sind. Sie können damit nicht vom Homo sapiens stammen, sondern müssen vom Neandertaler hergestellt worden sein. Gefunden wurde ein Schaber, mit dem die Neandertaler vermutlich Fleischreste vom Fell erbeuteter Tiere abgeschabt haben und ein Schildkern, ein Stein, mit dem aus Feuerstein Werkzeuge und Waffen hergestellt wurden.
„Es handelt sich damit um den ältesten Nachweis menschlicher Existenz nicht nur in der Niederlausitz, sondern in ganz Brandenburg „, erklärt die brandenburgische Kulturministerin Sabine Kunst. Dieser Fund werde die Geschichtsschreibung Brandenburgs verändern. Denn bislang reichten die Funde dieser Art gerade mal 40.000 Jahre zurück, künftig beginnt die Geschichte der Besiedlung Brandenburgs vor 130.000 Jahren.
Landschaft wie im heutigen Nordskandinavien
Anhand der Fossilien konnte die Forscher auch rekonstruieren, wie diese Gegend zur Zeit des Neandertalers ausgesehen haben muss: Demnach lag der Fundplatz vor 130.000 Jahren in einer flachen, durch seichte Gewässer unterbrochenen Niederung. Bewachsen war die Senke mit einer Waldtundren-Vegetation bestehend aus Sanddorn, Weiden und Birken sowie diversen Kräutern, Gräsern und Moosen.
Wie die Paläontologin Annette Kossler von der FU Berlin erklärt, glichen die damaligen Lebensbedingungen hinsichtlich Nahrungsangebot und Temperaturen damit den heutigen Bedingungen in sogenannten kaltgemäßigten Klimazonen wie im nördlichen Skandinavien. „Ein Einwandern des Neandertalers in das Gebiet der heutigen Niederlausitz war also zumindest während der Sommermonate möglich.“ Im Winter machten Schnee und Eis die Gegend vermutlich eher lebensfeindlich, die Eiszeitmenschen zogen in dieser Zeit vermutlich weiter nach Süden.
Geologischer Glücksfall
Dass der Fundplatz noch erhalten ist, ist einer glücklichen Abfolge geologischer Vorgänge zu verdanken: Mit der beginnenden Erwärmung zum Ende der Saale-Eiszeit, vor etwa 130.000 Jahren, tauten mächtige, im Untergrund erhaltene Eisreste ab, wodurch allmählich eine gewaltige Senke entstand. Darin bildete sich ein großer See, der auch noch während des gesamten auf die Saale-Eiszeit folgenden Zeitabschnitts, der sogenannten Eem-Warmzeit, existierte.
In der nächsten Kaltzeit, Weichsel-Eiszeit vor 115.000 bis 11.700 Jahren, trugen die vor und zurückrückenden Gletscher das Gebiet tiefgründig ab. Doch die tiefsten Beckenbereiche des ehemaligen Sees und die darunter liegende Fundschicht blieben dabei verschont. Sie wurden in den darauffolgenden Jahrtausenden wieder von jüngeren Ablagerungen überdeckt und so vor der Erosion geschützt. Dieser Abfolge von Ereignissen brachte die 130.000 Jahre alten Fundstücke einerseits in die Reichweite von Grabungen, sorgte aber andererseits dafür, dass genügend Sediment darüber lag, um sie zu bewahren.
(FU Berlin, 18.10.2013 – NPO)