Evolution

Ältestes Beispiel für Räuber-Beute-Co-Entwicklung

Evolutionäres “Wettrüsten” gab es schon vor 517 Millionen Jahren

Rasterelektronenmikroskop-Aufnahmen von Lapworthella fasciculata-Schalen mit unterschiedlichen Formen und Löchern
Rasterelektronenmikroskop-Aufnahmen von Lapworthella-fasciculata-Schalen aus der Mernmerna Formation in den Flinders Ranges in South Australia. Die Schalen haben Löcher, die von einem Raubtier gemacht wurden. Die Maßstabsbalken entsprechen je 200 Mikrometer. © R. Bicknell, et al (2025) Current Biology

Verräterisches Lochmuster: Paläontologen haben das älteste bekannte Beispiel für ein evolutionäres Wettrüsten entdeckt. Anhand fossiler Weichtierschalen aus dem Kambrium identifizierten sie eine Raubtier-Beute-Interaktion, die vor rund 517 Millionen Jahre im Ozean des heutigen Südaustraliens stattfand. Ein kleines Schalenweichtier namens Lapworthella fasciculata bildete damals immer dickere Schutzpanzer, während ein unbekanntes Meeresraubtier diesen Panzer immer besser durchbohren konnte.

Wenn ein Tier im Laufe der Evolution seine Fähigkeiten verbessert, optimieren oft auch eine oder mehrere andere Arten im selben Ökosystem ihre Kompetenzen. Bei solchen evolutionären Wettrüsten passen sich beispielsweise Raubtiere und Beute kontinuierlich an und entwickeln ihre Schutz- und Angriffstechniken als Reaktion aufeinander weiter.

„Solche Räuber-Beute-Interaktionen werden oft als Haupttreiber der ‚kambrischen Explosion‘ angepriesen, insbesondere im Hinblick auf die rasche Zunahme der Diversität und des Reichtums an biomineralisierenden Organismen zu dieser Zeit“, erklärt Russell Bicknell von der University of New England in Australien, mit Blick auf muschelartige Weichtiere mit Schalen. „Dennoch mangelt es an empirischen Beweisen, dass Beutetiere direkt auf Raubtiere reagierten und umgekehrt.“

Auffällig perforierte Schalen

Ein Team um Bicknell hat nun erstmals einen Beweis für ein Wettrüsten während des Kambriums gefunden. Die Paläontologen untersuchten dafür hunderte fossiler Schalen einer Tommotiidenart, Lapworthella fasciculata, die in acht Schichten einer 14 Meter dicken frühkambrischen Gesteinsformation in Südaustralien gefunden wurden. Die Größe dieser entfernt mit den Brachiopoden verwandten winzigen Weichtiere liegt zwischen der eines Sandkorns und der eines Apfelkerns.

Die gepanzerten Schalen von Lapworthella fasciculata bestehen aus Organophosphaten, einer Art von Biomineralien, und haben oft ein einzelnes kreisförmiges Loch, das wahrscheinlich von einem Raubtier ausgestanzt wurde. Welche Art von Tier dies war, ist unklar – höchstwahrscheinlich handelte es sich um eine Art Weichtier oder Wurm. Bricknell und seine Kollegen haben nun analysiert, wie alt diese Schalen sind und wie sie aufgebaut sind.

Häufiger Löcher trotz dickerer Panzer

Das Ergebnis: Die Panzer von Lapworthella fasciculata sind etwa 517 Millionen Jahre alt. Zudem stellten die Forschenden fest, dass die Schalen innerhalb eines kurzen Zeitraums immer dicker wurden. Zugleich nahm allerdings auch die Anzahl der perforierten Schalen zu: Die Löcher wurden zwar nicht größer, fanden sich in der jüngsten untersuchten Gesteinsschicht jedoch fast viermal so häufig wie in der ältesten.

Dies deutet darauf hin, dass damals ein mikroevolutionäres Wettrüsten stattfand, bei dem L. fasciculata seinen Panzer zum Schutz gegen Raubtiere verstärkte und das Raubtier wiederum seine Fähigkeit verbesserte, seine Beute trotz des dickeren Panzers zu durchstechen, so das Team.

Beleg für evolutionäres Wettrüsten im Kambrium

„Diese äußerst wichtige evolutionäre Aufzeichnung zeigt zum ersten Mal, dass Prädation eine entscheidende Rolle bei der Ausbreitung früher tierischer Ökosysteme spielte und zeigt die rasante Geschwindigkeit, mit der solche phänotypischen Modifikationen während des kambrischen Explosionsereignisses entstanden“, sagt Bicknell. Der Fund markiert zudem das älteste bislang bekannte Beispiel für eine Räuber-Beute-Co-Evolution, wie die Forschenden erklären. (Current Biology, 2025; doi: 10.1016/j.cub.2024.12.007)

Quelle: American Museum of Natural History

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