Prähistorischer Kreißsaal: Paläontologen haben den frühesten fossilen Nachweis einer lebendgebärenden Schlange entdeckt. Das Tier der Art Messelophis variatus lebte vor 47 Millionen Jahren, seine Relikte wurden nun in der Grube Messel entdeckt. Zum Zeitpunkt ihres Todes war die Boa mit mindestens zwei Jungtieren trächtig, wie das Fossil belegt. Ihr Nachwuchs befand sich im hinteren Drittel ihres Rumpfes und war bereits weit entwickelt.
Die Grube Messel in der Nähe von Darmstadt ist bekannt für ihre gut erhaltenen Schlangenfossilien. So fanden Paläontologen dort bereits den ältesten Python der Welt und einen Nachweis dafür, dass auch Urzeit-Schlangen schon in Infrarot sehen konnten. Dennoch bleiben einige Bereiche der Entwicklungsgeschichte von Schlangen ein Rätsel.
Dazu zählt das Wissen darüber, wann Schlangen ihren Nachwuchs erstmals lebend statt in Eiern zur Welt brachten. Denn auch wenn die meisten modernen Reptilien Eier legen, gibt es zahlreiche Schlangen-Arten, die stattdessen auf die Lebendgeburt, die sogenannte Viviparie, setzen. Sie tragen ihre Nachkommen in sich, wo sie geschützt heranwachsen können, und bringen sie dann zur Welt – so wie wir Menschen. Wann genau sich diese Strategie bei Schlangen entwickelte, war bislang unklar.
Versteinerte, trächtige Schlange
Ein Team um Mariana Chuliver von der Fundación de Historia Natural im argentinischen Buenos Aires ist diesem Rätsel nun einen Schritt näher gekommen. Die Paläontologen haben in urzeitlichen Ablagerungen der Grube Messel das Fossil einer trächtigen, 47 Millionen Jahre alten Boa entdeckt. Das Tier ist der erste fossile Nachweis einer lebendgebärenden Schlange überhaupt. Bisher seien weltweit insgesamt nur zwei weitere fossile Belege von lebendgebärenden Reptilien bekannt, so die Forschenden, aber bei keinem von beiden handele es sich um eine Schlange.
Das nun beschriebene Fossil ist eine etwa 50 Zentimeter lange Boa der Art Messelophis variatus, eine der häufigsten fossilen Schlangenarten aus der Grube Messel. „Bei unserer Untersuchung haben wir festgestellt, dass einige der Schädelknochen im Fossil von kleinen, nicht mehr als 20 Zentimeter langen Boas stammen“, so Chulivers Kollege Agustín Scanferla, „Diese Knochen liegen ein gutes Stück hinter dem Magen – würde es sich dabei um Beutetiere der Schlange handeln, wären diese so weit hinten im Darm bereits zersetzt und nicht mehr zu erkennen.“ Die Schlange war demnach trächtig und zwar mit mindestens zwei für eine Oviparie zu weit entwickelten Jungtieren.
Lebendgeburt passt nicht zum Lebensraum
Doch die Schlange gibt dem Forschungsteam Rätsel auf: Moderne Reptilien setzen eigentlich nur in kalten Klimazonen auf Viviparie. Die Körpertemperatur des Weibchens ist dann nämlich konstanter als die Außentemperatur und der Nachwuchs im Mutterleib besser vor Kälte geschützt. Doch das Klima, in dem die Messelophis-Schlange lebte, war alles andere als kalt: „Rund um Messel lagen die Durchschnittstemperaturen damals bei etwa 20 Grad Celsius, die Wintertemperaturen fielen nicht unter den Gefrierpunkt“, erklärt Chulivers Kollege Krister Smith.
Warum die Boa aus der Grube Messel ihren Nachwuchs trotzdem lebend zur Welt brachte, ist laut Smith noch ungeklärt, könnte aber für die Jungtiere bislang unbekannte Vorteile jenseits eines Kälteschutzes gehabt haben. „Vielleicht werden uns weitere Fossilien aus dieser einzigartigen Fundstelle helfen, dieses Rätsel zu lösen“, so Smith. (The Science of Nature, 2022, doi: 10.1007/s00114-022-01828-3)
Quelle: Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen