Nicht nur Menschen sondern auch Primaten können selbstlos handeln. In Versuchen konnten Forscher zeigen, dass Schimpansen wie auch Menschenkinder ihren unbekannten Artgenossen ohne Eigennutz helfen. Beide nahmen dabei große Mühen auf sich, wobei die Schimpansen sogar auf eine Belohnung verzichteten und einem Artgenossen uneigennützig Futter zuschanzten. Die Ergebnisse zeigen, dass die Eigenschaft zum selbstlosen Handeln bereits viel früher in der Menschheitsgeschichte angelegt worden ist als bisher angenommen und nicht erst durch Sozialisation entwickelt wurde. Die Ergebnisse der Studie wurden in der Fachzeitschrift PloS Biology veröffentlicht.
Was macht einen Schimpansen zum Helfer? Bisher galt eine sehr einfache Antwort: der unmittelbare eigene Nutzen. Ähnlich wie beim Menschen, soll der Affe eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufstellen. Dieses Bild vom egoistischen Primaten konnten jetzt jedoch Felix Warneken und seine Kollegen vom Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig entkräften: „Wir wollten herausfinden, ob Schimpansen und Kleinkinder helfen, um dafür eine sofortige Belohnung zu erhalten, oder ob sie helfen, weil die andere Person ein Problem hat“, sagt Projektleiter Warneken. Das Forscherteam konzipierte drei Aufgaben für die 36 Schimpansen aus dem Ngamba Schutzgebiet in Uganda und führte diese gleichzeitig mit einer Gruppe von 36 Kleinkindern durch. „Sowohl Kinder als auch Schimpansen halfen, unabhängig davon, ob ihnen daraus ein Vorteil erwuchs oder nicht“, erläutert Warneken die Ergebnisse.
Wildnis statt Gefangenschaft
Bisherige Studien zeigten lediglich, dass Schimpansen in passiven Versuchanordnungen eher dazu neigen, sich mehr Futter zu gönnen als anderen. Dabei saßen die Affen zum Beispiel auf Stühlen und konnten per Knopfdruck entweder sich und einem Partner oder nur sich selbst Futter besorgen. In diesen Versuchen tendierten die Affen eher dazu, nur sich selbst zu belohnen. „Durch den Futterreiz wurde die Hilfsbereitschaft überdeckt und die Ergebnisse verzerrt“, erklärt der Verhaltensforscher. Altruistisches Verhalten sei vor allem von der Problemsituation abhängig, die der Helfer auch erkennt und in die er aktiv eingebunden sein müsse. „Wir haben untersucht, ob sowohl Schimpansen, die in der Wildnis groß geworden sind, als auch Kleinkinder ihnen völlig fremden Menschen helfen, die sie nie belohnten“, beschreibt Warneken den experimentellen Ansatz.
In der ersten Aufgabe sah der Schimpanse zu, wie eine unbekannte Person sich vergeblich bemüht, nach einem Stock zu greifen. Der Stock war außerhalb der Reichweite des Menschen, befand sich aber in Reichweite des Schimpansen. Nach seinen verzweifelten Versuchen nahm der Mensch Blickkontakt mit den Affen auf. 12 von 18 Schimpansen hoben den Stock daraufhin auf und reichten ihn weiter, obwohl sie keine Belohnung dafür erhielten. Auch 16 von 18 Kindern halfen selbstlos der Person, indem sie ihr den Gegenstand gaben.
Faktor Hilflosigkeit
Wichtig war aber offenbar der Faktor Hilflosigkeit. „Wenn der Gegenstand außer Reichweite war, die betroffene Person aber gar nicht versuchte, ihn aufzuheben, so boten Schimpansen und Kinder dem Gegenüber den Gegenstand auch nicht an“, sagt Warneken. Offensichtlich helfen sowohl Affen als auch Kleinkinder nur in Problemsituationen. Für beide gilt: Sie sind in der Lage zu erkennen, wann jemand Hilfe benötigt, und helfen dann ohne unmittelbaren Eigennutz – in der vorliegenden Studie bis zu zehnmal hintereinander. Verblüffend war auch, dass eine Belohnung die Helfer-Rate nicht weiter erhöhte.
In der zweiten Versuchsanordnung steigerten die Forscher den Schwierigkeitsgrad. Sie wollten herausfinden, wie viel Mühe Schimpansen und Kleinkinder auf sich nehmen, um zu helfen. Die Schimpansen mussten dazu eine zweieinhalb Meter hohe Rampe hinaufklettern, um den Stock reichen zu können, die Kinder einen Hindernisparcours durchlaufen. Trotz der großen Anstrengungen halfen mehr als die Hälfte der Schimpansen und Kinder gleichermaßen, ohne dafür belohnt zu werden.
Erlerntes Verhalten oder Veranlagung?
„Allerdings müssen wir berücksichtigen, dass die Affen und Kinder möglicherweise bereits in der Vergangenheit für ähnliches Verhalten von einem Menschen belohnt wurden“, schränkt Warneken die Aussagekraft dieser Versuche ein. „Denn die Schimpansen halfen in diesem Fall Menschen, aber nicht Artgenossen.“ Die Forscher lösten sich daher vom Faktor Mensch und untersuchten, ob die Affen auch nicht verwandten Artgenossen zur Hand gehen. Der Versuchsaufbau sah dabei wie folgt aus: Futter wurde hinter einer Tür platziert, die versperrt war. Ein Affe stand vor der Tür, konnte sie aber nicht öffnen. Der potenzielle Helfer war in einem anderen Käfig ohne Zugang zum Futter, konnte aber dem Artgenossen die Tür zum Futter öffnen.
Die Ergebnisse erstaunten die Forscher: Knapp 80 Prozent der potenziellen Helfer öffneten ihren Artgenossen die Tür und verschafften ihnen damit Zugang zum Futter, obwohl sie selbst leer ausgingen. „Wir konnten nicht einmal beobachten, dass die Helfer den Begünstigten um Futter anbettelten oder ihn einschüchterten“, sagt Warneken. „Dieses selbstlose Verhalten ist auch deshalb erstaunlich, weil sich die Schimpansen niemals zuvor in dieser Situation befunden haben. Und das zeigt, dass sie auch neuartige Problemsituationen flexibel erkennen und entsprechend neue Formen der Hilfe entwickeln können.“
Die Studie liefert somit den Beweis, dass unsere nahen Verwandten auch altruistisch handeln und bereits Kleinkinder dies tun. „Hilfsbereitschaft hat ihren Ursprung also nicht allein in Kultur und Erziehung. Wir sollten uns von der Idee verabschieden, dass wir als Egoisten auf die Welt kommen und allein durch Kultur und Erziehung zu hilfsbereiten Wesen heranwachsen“, sagt Warneken.
(Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, 27.06.2007 – AHE)