Die Khoi-San im Süden Afrikas sind älter als alle anderen Volksgruppen des modernen Menschen. Ihre Stammeslinie entstand bereits vor rund 100.000 Jahren. Das bestätigt jetzt die umfangreichste jemals durchgeführte Genstudie im südlichen Afrika. 2,3 Millionen Erbgutvarianten von 220 Menschen analysierte ein internationales Forscherteam dafür. Das Ergebnis zeige, dass die Khoi-San, früher auch diskriminierend als Buschleute bezeichnet, genetisch einzigartig seien. Keine andere heute bekannte Population habe sich so früh von den Vorfahren aller Menschen abgetrennt, berichten die Forscher im Fachmagazin „Science“. Ihr Erbgut eröffne daher wertvolle Einblicke in die evolutionären Prozesse, die sich vor mehr als 100.000 Jahren ereigneten – in einer für die Evolution des anatomisch modernen Menschen entscheidenden Phase.
„Aus den genetischen Unterschieden zwischen den Populationen des südlichen Afrika geht hervor, dass der moderne Mensch vermutlich nicht an einem einzigen geografischen Ort entstand“, schreiben Carina Schlebusch von der Uppsala Universität in Schweden und ihre Kollegen. Stattdessen sei bereits die frühe Menschheitsgeschichte von Vermischungen und Abspaltungen geprägt gewesen. „Es ist daher möglich, dass auch die anatomisch modernen Menschen aus einer nicht-homogenen Gruppe von Vorfahren hervorgingen“, sagen die Forscher.
Genetische Stellschrauben der Menschheitsentwicklung
Wie sich der Schritt vom archäischen zum modernen Menschentyp genau vollzogen hat, ist noch unklar. Die neue Genanalyse liefert aber erste Hinweise, welche genetischen Stellschrauben an diesem Wandel beteiligt gewesen sein könnten. Unter den besonders ursprünglichen Genvarianten der Khoi-San identifizierten die Forscher drei Gene, die für die Entwicklung des Skeletts und Schädels wichtig sind.
Eines dieser Gene, RUNX2, könnte nach Ansicht der Forscher für einige anatomische Unterschiede zwischen modernen und archäischen Menschentypen verantwortlich sein. Varianten dieses Gens beeinflussen unter anderem die Stirnwölbung, die Form des Brustkorbs und der Schlüsselbeine sowie den Zeitpunkt, zu dem sich der Schädel schließt – ein für die Gehirnentwicklung wichtiges Merkmal. „Eine Selektion nur weniger Gene, darunter vielleicht dieser Kandidaten, könnte daher an der Entwicklung des anatomisch modernen Menschen beteiligt gewesen sein“, mutmaßen die Forscher.
Gene erhellen auch Khoi-San-Geschichte
In ihrer Studie fanden die Forscher auch große Unterschiede innerhalb der Khoi-San. „Es gibt in dieser Gruppe eine erstaunlich große ethnische Vielfalt und wir haben anhand der DNA einige Aspekte ihrer Geschichte nachvollziehen können“, sagt Schlebusch. So zeigen die Gene, dass sich die heute im Norden Namibias und Angolas lebenden San bereits vor 25.000 bis 43.000 Jahren von den restlichen Khoi-San abspalteten.
Die Gene verraten auch, warum die Nama, ein in Namibia verbreiteter Khoi-Volksstamm, in Gegensatz zu vielen anderen Khoi-San nicht als Jäger und Sammler, sondern als sesshafte Bauern leben. „Sie teilen einen kleinen, aber deutlichen Genanteil mit ostafrikanischen Völkern, vor allem mit dem Massai“, berichten die Forscher. Das deute darauf hin, dass ostafrikanische Einwanderer die Landwirtschaft in den Südwesten Afrikas brachten, lange bevor vor rund 1.500 Jahren Bantu-sprechende Farmer aus dem westlichen Zentralafrika einwanderten. Eine der wahrscheinlich von den Massai geerbten Genvarianten sorgt dafür, dass rund die Hälfte der Nama auch als Erwachsene noch Milchzucker abbauen und verdauen können, wie die Forscher berichten. Bei den anderen Khoi-San-Gruppen komme diese Genvariante nur in zehn Prozent der Bevölkerung vor. (doi:10.1126/science.1227721)
(Science, 21.09.2012 – NPO)