Einen besonderen Trick gegen das Gefressenwerden hat eine einzellige Meeresalge entwickelt: Wie Forscher jetzt entdeckten, verändert sie je nach gerade anwesendem Fressfeind ihre äußere Form. Bevorzugt er kleine Beute, schließt sie sich zu großen Kolonien zusammen, im umgekehrten Fall bleiben die Algen einzeln.
Die Alge Phaeocystis globosa hat zwei Arten von Fressfeinden: kleinere Einzeller wie Wimperntiere, die es vorziehen, einzelne Zellen der Alge zu fressen, sowie die größeren Ruderfußkrebse (Copepoden), die lieber gleich ganze Kolonien vertilgen. Wenn Phaeocystis von Ruderfußkrebsen angegriffen wird, wäre es daher ihre beste Strategie, sich schnell zu vereinzeln, damit die Krebse keinen lohnenden „größeren Brocken“ mehr finden. Umgekehrt bieten große Kolonien Schutz vor den kleinen Wimperntieren.
Chemische Signale als Auslöser
Wissenschaftler des Georgia Institute of Technology um Jeremy D. Long haben jetzt herausgefunden, dass die Alge tatsächlich genau dieses Strategie einsetzt: In ihren Versuchen stellten sie fest, dass chemische Signale angegriffener Nachbarn dabei die entscheidende Rolle spielen. Signalisierten diese einen Copepodenangriff, sank die Anzahl der Kolonien um 60 bis 90 Prozent, Wimperntier-typische Signale dagegen förderten die Koloniebildung um immerhin 25 Prozent.
Die Reaktion der Alge auf die äußeren Reize dauerte zwischen drei und sechs Tagen, die Veränderungen in Bezug auf die Größe waren dabei jedoch zum Teil beträchtlich: „Wenn eine dieser Zellen beginnt, die größte Kolonieform auszubilden, ist das so, als wenn sich ein Moskito in 76 Blauwale oder 3.000 Elefantenbullen verwandelt“, erklärt Mark E. Hay, Professor für Biologie am Georgia Institute of Technology. „Diese Formveränderungen machen einen fast hundertprozentigen Unterschied in der Anfälligkeit der Alge gegenüber dem Gefressenwerden aus. Es ist wirklich überraschend, dass ein einzelliger Organismus nicht nur die Präsenz von Fressfeinden chemisch wahrnehmen kann, sondern auch diese identifizieren und darauf mit einer von zwei Strategien differenziert reagieren, je nachdem, welcher Fressfeind gerade anwesend ist.“
Kein Einzelfall unter pflanzlichen Einzellern
Wie die Wissenschaftler in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift “Proceedings of the National Academy of Sciences“ berichten, ist dies der erste Beleg für eine solche komplexe und artspezifische defensive Verhaltensweise bei einzelligen Algen. Für höhere Pflanzen ist bereits seit längerem bekannt, dass viele von ihnen ein Abwehrverhalten zeigen und sich gegenseitig durch chemische Signale warnen können. Nach Ansicht von Hay ist Phaeocystis aber sicher kein Einzelfall. Er vermutet, dass in Zukunft noch mehr solcher spezifischen Abwehrreaktionen unter Einzellern entdeckt werden.
(Georgia Institute of Technology, 18.06.2007 – NPO)