Demente Delfine: Forschende haben bei gestrandeten Delfinen aus drei verschiedenen Arten typische Alzheimer-Marker gefunden. Demnach wiesen die Tiere sowohl vermehrt Amyloid-Beta-Plaques als auch Vorstufen von Tau-Fibrillen auf. Ob sich diese Hirnveränderungen ähnlich wie menschliche Demenz äußern, ist noch unklar. Sollte das aber der Fall sein, könnte dies vielleicht erklären, warum Meeressäuger manchmal in zu flache Gewässer geraten, wo sie dann stranden.
Alzheimer-Demenz ist eine der Hauptursachen dafür, dass ältere Menschen pflegebedürftig werden. Wie genau diese neurodegenerative Erkrankung entsteht, ist nach wie vor nicht vollständig klar. Bekannt ist allerdings, dass fehlgefaltete Amyloid-Beta-Proteine im Gehirn verklumpen und dass sich im Inneren der Nervenzellen Fibrillen aus Tau-Proteinen bilden. Dadurch sterben Hirnzellen zunehmend ab und Betroffene haben Probleme mit dem Gedächtnis, der Kommunikation und alltäglichen Aufgaben. Auch Tiere können mit zunehmendem Alter dement werden.
Blick ins Delfin-Gehirn
Zu den von Alzheimer betroffenen Tieren gehören offenbar auch Delfine, wie nun Forschende um Marissa Vacher von der niederländischen Universität Leiden herausgefunden haben. Nachdem frühere Studien bereits erste Hinweise darauf lieferten, dass auch Meeressäuger Demenz entwickeln können, sind Vacher und ihre Kollegen dem Phänomen nun weiter auf den Grund gegangen.
Dafür untersuchten sie die Gehirne von 18 älteren Zahnwalen, die in schottischen Küstengewässern gestrandet waren. Die Forschenden suchten dabei gezielt nach verschiedenen Alzheimer-Markern wie Amyloid-Beta-Plaques, hyperphosphorylierten Tau-Proteinen – den Vorläufern von Tau-Fibrillen – und der krankhaften Abnahme von Nervenzellen. Die Studie umfasste insgesamt fünf Zahnwal-Arten: Risso-Delfine, Grindwale, Weißschnauzendelfine, Schweinswale und einen Großen Tümmler.
Wurden bei Individuen einer Spezies erhöhte Werte für Plaques oder Tau-Proteine ermittelt, suchten Vacher und ihr Team zusätzlich den Vergleich mit einem jüngeren gestrandeten Tier derselben Art, um herauszufinden, ob diese Veränderungen alters- oder artbedingt auftreten.
Alzheimer-Marker ähnlich wie beim Menschen
Das Ergebnis: Die Gehirne aller alten Zahnwale wiesen Amyloid-Beta-Plaques auf. Insbesondere bei drei Tieren, einem Weißschnauzendelfin, einem Grindwal und dem Großen Tümmler, kamen diese verklumpten Proteinablagerungen sehr zahlreich vor. Dieselben drei Zahnwale waren auch bei der Anzahl der anomalen Tau-Proteine ganz vorne mit dabei. Diese konnten die Forschenden „als zytoplasmatisches Granulat innerhalb von Neuronenclustern in der Großhirnrinde“ beobachten, „was beim Menschen ein frühes Stadium der Entwicklung neurofibrillärer Knäuel darstellt.“
Das zahlreiche Vorkommen bei den alten Tieren deutet laut Vacher und ihren Kollegen auf Alzheimer-ähnliche Veränderungen ihres Gehirns hin. Plaques und Tau-Proteine waren außerdem auf ähnliche Gehirnregionen beschränkt wie auch bei Menschen mit Alzheimer. Für eine Demenzerkrankung könnte zudem sprechen, dass die Forschenden bei drei von vier der untersuchten jungen Delfine ebenfalls Amyloid-Beta-Plaques entdeckten, wenn auch in sehr geringen Mengen. Ähnlich verhielt es sich mit den Tau-Proteinen.
Gestrandet wegen Demenz?
Allerdings stand dem Forschungsteam bei keinem der untersuchten Tiere ein Hippocampus, also das Gedächtniszentrum des Gehirns, zu Verfügung. Für das Auftreten verschiedener Alzheimer-Symptome, darunter Gedächtnisverlust, sind Schädigungen dieses Areals zentral. Ob die betroffenen Delfine zu Lebzeiten ebenso wie demente Menschen unter kognitiven Defiziten litten, ist daher noch unklar. Dafür bräuchte es nicht nur Gewebeproben, sondern auch Verhaltensstudien. „Obwohl es zum jetzigen Zeitpunkt verlockend ist, darüber zu spekulieren, muss noch mehr geforscht werden, um besser zu verstehen, was mit diesen Tieren geschieht“, erklärt Vachers Kollege Mark Dagleish.
Ebenso verlockend ist die Spekulation, dass die Hirn-Veränderungen der Delfine etwas mit ihrem Stranden an den Küsten Schottlands zu tun hatten. Das können die Wissenschaftler allerdings allein anhand des Hirngewebes nicht beantworten. Falls sich der Zusammenhang künftig aber bestätigen sollte, dann würde das eine gängige Theorie zu Walstrandungen stützen. Nach dieser lotst ein orientierungsloser, verwirrter Anführer die gesamte Gruppe versehentlich in flache Gewässer, wo die Tiere stranden und nicht mehr aus eigener Kraft zurück ins offene Meer kommen.
Hilfreich auch für die Alzheimerforschung
Weiter an Zahnwalen und ihrem Gehirn zu forschen, könnte aber nicht nur neue Erkenntnisse zu den Gründen für Massenstrandungen liefern, sondern auch der menschlichen Alzheimer-Forschung nutzen. Hilfreich wären vor allem Studien mit in Gefangenschaft lebenden Tieren, deren Verhalten man über Jahre hinweg beobachten kann. Solche Studien könnten „zu einem besseren Verständnis des Krankheitsverlaufs, der Risikofaktoren und der zugrunde liegenden Mechanismen von Alzheimer führen“, schreiben Vacher und ihr Team. (European Journal of Neuroscience, 2022; doi: 10.1111/ejn.15900)
Quelle: University of Glasgow, European Journal of Neuroscience