Fatale Nebenwirkung: Gängige Abwehrmittel gegen Mücken und Zecken haben eine bisher unentdeckte Schadwirkung für Amphibien. Gelangt der Wirkstoff Icaridin in Flüsse und Seen, führt er bei jungen Lurchlarven zu schweren Fehlbildungen und zum Tod, wie nun eine Studie enthüllt. Diese Wirkung tritt bereits bei Konzentrationen auf, die in unseren Gewässern gängig sind, wie die Forscher im Fachmagazin „Biology Letters“ berichten. Ob auch andere Amphibien betroffen sind, ist noch unklar.
Viele Menschen schützen sich im Sommer oder auf Reisen mit Sprays oder Abwehrlotionen vor Mückenstichen. Diese Repellents enthalten Chemikalien, die auf Stechmücken und Zecken abschreckend wirken und sie so von ihrer Blutmahlzeit abhalten. Am gängigsten sind dabei die beiden Wirkstoffe DEET und Icaridin.
In die Gewässer gespült
Doch diese Abwehrmittel bleiben nicht auf unserer Haut: Mit dem Duschen, Baden und Waschen gelangen die Chemikalien ins Abwasser und in die Gewässer. In Deutschland wurden bereits Konzentrationen von bis zu 3.000 Nanogramm Icaridin pro Liter an Klärwerkseinleitungen gemessen. Gängigen Tests zufolge sollen DEET und Icaridin aber für Fische, Wasserflöhe oder Algen im Wasser nicht schädlich sein.
Allerdings: „Die Auswirkungen dieser Insekten-Repellents auf Mückenfresser und insbesondere auf Amphibien sind bisher nicht bekannt“, sagen Rafael Almeida vom Cary Institute for Ecosystem Studies in New York und seine Kollegen. Hinzu kommt, dass die DEET und Icaridin in Reinform zwar nicht wasserlöslich sind. Die kommerziell erhältlichen Repellents enthalten jedoch Zusatzstoffe, die dies ändern.
Tote Lurchlarven
Almeida und sein Team haben nun getestet, wie zwei gängige Repellents auf DEET- oder Icaridin-Basis auf die Larven des Flecken-Querzahnmolchs (Ambystoma maculatum) wirken. Dieser Schwanzlurch ist ein Verwandter der Salamander und kommt in Nordamerika häufig vor. Im Experiment wurden die Lurchlarven 25 Tage lang in Wasser mit bis zu 2000 Nanogramm Icaridin pro Liter oder bis zu 9810 Nanogramm DEET pro Liter aufgezogen.
Das Ergebnis: Zwar erwies sich das DEET als unschädlich für die Lurchlarven, nicht aber das Icaridin: Bereits nach vier Tagen in kontaminiertem Wasser begannen die Larven Anzeichen für eine beeinträchtige Entwicklung und Fehlbildungen ihrer Schwänze zu zeigen. Nach 25 Tagen waren 45 bis 65 Prozent der dem Icaridin ausgesetzten Lurchlarven tot. „Das Ausmaß der Sterblichkeit bei diesen Larven war erschreckend“, sagt Almeidas Kollegin Barbara Han.
In gängigen Tests nicht erfasst
Obwohl der Wirkstoff Icaridin gängige Toxizitätstests bestanden hat, schädigt er demnach schon in geringen Konzentrationen die Larven bestimmter Amphibien. „Diese Ergebnisse demonstrieren, dass Schwanzlurchlarven schwere Missbildungen und eine hohe Mortalität erleiden, wenn sie umweltrelevanten Mengen von Repellents mit dem Wirkstoff Icaridin ausgesetzt sind“, so die Forscher.
Unbemerkt blieb dies bisher, weil die gängigen Toxizitätstests nur vier Tage lang laufen. „Die Mortalität bei unseren Lurchlarven zeigte sich jedoch erst nach dem vierten Tag“, sagt Koautor Alexander Reisinger von der University of Florida in Gainesville. „In einem klassischen LC50-Test wäre Icaridin daher als ’sicher‘ eingestuft worden – obwohl dies eindeutig nicht der Fall ist.“ Welche Auswirkungen der Repellent-Wirkstoff auch auf andere Amphibien und ältere Lurchlarven hat, müsse nun dringend weiter untersucht werden.
Doppelt negative Wirkung
Nach Ansicht der Forscher könnten Rückstände von Anti-Mückenmitteln im Abwasser zum weltweit beobachteten Niedergang von Schwanzlurchen beitragen. Besonders schädlich für die Amphibien sei die Belastung mit Icaridin dann, wenn sie mit der Brutsaison der Amphibien zusammentreffe: „Wenn die Amphibien während ihrer sensiblen Lebensstadien exponiert werden, könnten ganze Jahrgänge zugrundegehen“, sagt Almeida. „Die Mücken dagegen können sich weiter vermehren.“ Denn für Mückenlarven ist weder DEET noch Icaridin schädlich, wie Tests ergaben.
Gängige Mückenabwehrmittel könnten demnach gleich eine doppelt negative Wirkung entfalten: „Schwanzlurche sind effektive Vertilger von Mückenlarven. Wenn sie jedoch durch die Icaridin-bedingte Mortalität weniger werden, könnte dies dazu führen, dass vermehrt adulte Mücken aus den Gewässern schlüpfen“, erklären die Wissenschaftler. (Royal Society Biology Letters, 2018; doi: 10.1098/rsbl.2018.0526)
(Cary Institute of Ecosystem Studies, 31.10.2018 – NPO)