Umwelt

Antidepressiva jetzt auch im Fisch

Medikamentenrückstände in Flüssen reichern sich im Hirngewebe von Barsch und Co an

Rückstände von Antidepressiva reichern sich offenbar in Flussbewohnern wie diesem Steinbarsch an. © Public domain

Unfreiwillige Psychopharmaka-Therapie: Das Wasser von Flüssen und Seen ist inzwischen auch mit Rückständen von Antidepressiva belastet – und diese reichern sich in Fischen an, wie eine US-Studie belegt. Bei Probefängen im Niagara-Fluss hatten alle Fische erhöhte Werte der Arzneimittel im Gehirn. Die Forscher befürchten, dass die Antidepressiva das Verhalten der Fische verändern und eine Bedrohung für die Biodiversität darstellen könnten.

Ob Antibiotika, Verhütungsmittel oder Psychopharmaka: Mit unserem Abwasser gelangen immer mehr Medikamentenrückstände in Flüsse und Seen, weil die Kläranlagen diese Wirkstoffe nicht vollständig entfernen können. Für die dort lebenden Tiere bleibt das nicht ohne Folgen. So ändern in mit Chemikalien geschwängerten Gewässern heimische Fische ihr Verhalten oder erleben männliche Frösche und Kröten eine unfreiwillige Geschlechtsumwandlung.

Wie nachhaltig der Kontakt mit solchen Substanzen auf Fische und Co wirkt, haben nun Diana Aga von der University at Buffalo und ihre Kollegen untersucht. Die Forscher wollten wissen: Wie stark reichern sich bestimmte Medikamentenrückstände im Körper der Tiere an? Um das herauszufinden, untersuchten sie im Niagara-Fluss in Nordamerika lebende Fische und analysierten dabei Gewebe und Muskeln von insgesamt zehn unterschiedlichen Arten.

Wirkstoff-Cocktail im Gehirn

Als besonders großes Problem entpuppte sich bei der Analyse eine bestimmte Klasse von Psychopharmaka: Antidepressiva. Diese Mittel oder Abbauprodukte davon wiesen die Wissenschaftler in jeder der untersuchten Fischspezies nach. Die höchste Konzentration eines einzelnen Wirkstoffs fanden sie dabei im Gehirn eines Steinbarsches.

Pro Gramm Gewebe hatten sich dort 400 Nanogramm Norsertralin angereichert, ein Abbauprodukt des Antidepressivums Sertralin aus der Gruppe der Serotonin-Wiederaufnahmehemmer. Zusätzlich hatte derselbe Fisch einen Cocktail weiterer Substanzen in seinem Gehirn – darunter Wirkstoffe wie Citalopram und Norfluoxetin.

Geändertes Verhalten?

Damit war der Barsch kein Einzelfall, wie Aga und ihre Kollegen berichten. Demnach hatten viele Fische neben Rückständen von Norsertralin einen wahren Cocktail anderer als Antidepressiva eingesetzter Substanzen in ihren Gehirnen. „Dass sich diese Inhaltsstoffe im Hirngewebe der Tiere anreichern, ist äußerst bedenklich und stellt möglicherweise eine Bedrohung für die Biodiversität in den betroffenen Ökosystemen dar“, sagt Aga.

Die Forscher befürchten, dass die Psychopharmaka das Verhalten der Fische beeinflussen könnten. „Wir haben das in unserer Studie zwar nicht überprüft. Andere Untersuchungen zeigen aber, dass sich solche Substanzen zum Beispiel negativ auf das Fressverhalten oder die Überlebensinstinkte von Fischen auswirken können“, konstatiert das Team.

Dauerbelastung als Problem

Besonders problematisch dabei: Sind die Fische den Medikamenten über einen längeren Zeitraum ausgesetzt, sammeln sich immer mehr Rückstände im Körper der Tiere an. So zeigten die Analysen: Die Stoffkonzentrationen im Gewebe übersteigen jene, die im Wasser gemessen werden, oftmals deutlich. In den Gehirnen von Steinbarsch, Schwarzbarsch und Forellenbarsch war beispielsweise der Sertralin-Gehalt im Schnitt mindestens zwanzigmal so hoch wie im Flusswasser selbst.

Wie sich diese stetig zunehmende Belastung auf Dauer auf die Tiere auswirkt und welchen Einfluss ein Cocktail unterschiedlicher Substanzen habe, sei bisher noch nicht ausreichend erforscht worden, so die Wissenschaftler. „Diese Rückstände stellen ein echtes Risiko für die Biodiversität dar – doch Forscher beginnen gerade erst zu verstehen, welche Konsequenzen das hat“, sagt Agas Kollege Randolph Singh.

Das Problem werde künftig wohl eher noch zunehmen als nachlassen, befürchten die Forscher. Denn schon in den vergangenen Jahren ist die Zahl der Verschreibungen für Antidepressiva gestiegen – ein Trend, der sich in Zukunft fortsetzen und die Fische in unseren Flüssen und Seen zunehmend belasten könnte. (Environmental Science & Technology, 2017; doi: 10.1021/acs.est.7b02912)

(University at Buffalo, 04.09.2017 – DAL)

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