Heute leben Kamele vor allem in heißen und trockenen Gebieten – daher ihr Beiname „Wüstenschiffe“. Vor etwa 3,5 Millionen Jahren war das jedoch anders, wie jetzt der Fund von Kamelfossilien im hohen Norden Kanadas zeigt. Riesenhafte Vorfahren der heutigen Kamele bevölkerten damals demnach sogar die kalten Polargebiete. Einige typische Merkmale heutiger Dromedare und Trampeltiere könnten daher in Anpassung an das Leben in der Arktis entstanden sein und nicht wie bisher angenommen in der Wüste, wie die Forscher im Fachmagazin „Nature Communications“ berichten.
Schon seit Längerem wissen Paläontologen, dass die Familie der Kamele nicht in Asien oder Afrika, sondern auf dem nordamerikanischen Kontinent entstand – vor etwa 40 bis 45 Millionen Jahren. Dort blieben die Ur-Kamele lange Zeit, entwickelten sich weiter und bildeten neue, ungewöhnliche Arten. Erst vor rund sechs bis sieben Millionen Jahren gelang es den Kamelen dann, vom amerikanischen Kontinent über die Beringstraße auf den eurasischen und schließlich den afrikanischen Kontinent zu gelangen. Parallel eroberten einige Vertreter der Familie Südamerika.
1.200 Kilometer weiter nördlich
Fossilien der frühen nordamerikanischen Kamele kennt man bereits eine ganze Menge. Wie weit nach Norden sich der Lebensraum der Tiere erstreckte, war jedoch unklar. Die bisher nördlichste Fundstätte liegt im Yukon-Territorium im Nordwesten Kanadas. Der aktuelle Fund verschiebt die Grenze nun jedoch um ganze 1.200 Kilometer: Er stammt von Ellesmere Island, einer Insel im Nordosten Kanadas, die bereits zur Hocharktis zählt.
Dort gibt es zwei reichhaltige Fundstellen namens Beaver Pond und Fyles Leaf Beds. In ersterer hatten Wissenschaftler bereits früher Überreste von Säugetieren entdeckt, darunter Dachse, kleine hirschartige Paarhufer, Biber und Pferde mit drei Zehen. Letztere hatte bisher hauptsächlich pflanzliche Überreste preisgegeben. Nun allerdings entdeckten die Wissenschaftler um Natalia Rybczynski vom Canadian Museum of Nature in den Fyles Leaf Beds über 30 Fragmente eines Knochens, der eindeutig von einem sehr großen Tier stammte.
Ein Drittel größer als heutige Kamele
Eine genauere Analyse, bei der das Team die einzelnen Bruchstücke dreidimensional scannte und dann von einem Computer zusammensetzen ließ, zeigte, dass es sich um das Schienbein eines großen Säugetiers handeln musste. Das Alter des Fundes schätzen die Wissenschaftler auf mehr als 3,4 Millionen Jahre – eine Zeit, in der Kamele mit Abstand die größten Säuger in Nordamerika waren. Daher habe es nahegelegen, dass auch das Schienbein einem Kamel gehört habe, erzählt Rybczynski. Den endgültigen Beweis dafür lieferte dann die Analyse von Kollagenresten, die die Forscher im Knochen fanden – ein Glücksfall, den sie vermutlich den durchgehend kalten Temperaturen an der Fundstelle zu verdanken haben.
Das Team fertigte eine Art Fingerabdruck des Kollagens an, den die Forscher dann mit dem von 37 anderen Säugetieren verglichen, darunter auch einige der fossilen Kamele inklusive des Yukon-Vertreters. Die größte Übereinstimmung gab es, wie nicht anders erwartet, mit dem Yukon-Kamel und, deutlich überraschender, mit den heute lebenden Dromedaren. Beim Besitzer des Schienbeins habe es sich also definitiv um ein Kamel gehandelt, das zumindest zur gleichen Abstammungslinie gehörte wie die modernen Vertreter der Familie, wenn es nicht sogar zu ihren direkten Vorfahren zählte, schlussfolgern die Forscher.
Überleben trotz Frost und Polarnacht
Wie genau das Tier aussah, können die Wissenschaftler bisher leider nicht sagen. Es war aber auf jeden Fall groß – das Schienbein ist etwa ein Drittel länger als das heute lebender Kamele. Es durchstreifte vermutlich Wälder, die der heutigen Taiga ähnelten und von Lärchen dominiert wurden. Obwohl die Temperaturen vor 3,5 Millionen Jahren höher waren als heute – es herrschte gerade eine Warmzeit –, war das Klima auch damals nicht wirklich angenehm: Im Schnitt betrug die Temperatur zwischen minus fünf und plus drei Grad, wobei sie im Winter vermutlich noch drastisch darunter lag. Zudem mussten die Kamele nicht nur mit der extremen Kälte, sondern auch mit der Polarnacht und damit sechs Monaten völliger Dunkelheit zurechtkommen.
Bereits damals könnten sich viele Merkmale ausgebildet haben, die heute typisch für Kamele sind, spekulieren die Wissenschaftler: Ihre breiten Füße zum Beispiel hätten ihnen auf schneebedecktem Boden ebenso gute Dienste geleistet wie heute in der sandigen Wüste. Der Fettspeicher in ihrem Höcker wäre in den langen Wintern nahezu unverzichtbar gewesen, und auch die großen Augen hätten geholfen, die Dunkelheit zu durchdringen. Es könnte also durchaus sein, dass das, was als ideale Anpassung ans Wüstenklima gilt, eigentlich für das Überleben in der Taiga entwickelt wurde, schlussfolgert das Team. (Nature Communications, 2013; doi: 10.1038/ncomms2516)
(Nature Communications, 06.03.2013 – ILB)