Neurobiologie

Atomare Struktur von Alzheimer-Protein enthüllt

APP mehr als nur ein Nervtöter

Graphische Darstellung der Zusammenlagerung von 2 APP Alzheimer-Proteinen. Durch Bindung von Heparinketten (rot) an die aus der Zelle ragenden E1-Abschnitte lagern sich zwei APP-Moleküle zusammen. Das entstehende Dimer verknüpft hier zwei Zellen - möglich ist auch die Zusammenlagerung von 2 APP Molekülen der selben Zelle. © Than/FLI

Jenaer Wissenschaftler sind bei der Erforschung der Alzheimer-Erkrankung einen entscheidenden Schritt weitergekommen. Ihnen ist es mithilfe der Proteinkristallographie gelungen, die atomare Struktur des Amyloid-Vorläuferproteins (APP) zu enthüllen. Spaltprodukte dieses Eiweißes können Alzheimer auslösen, APP erfüllt aber auch wichtige biologische Funktionen.

Alzheimer ist die häufigste Form der Altersdemenz. Ausgelöst wird diese Krankheit durch unlösliche Eiweißbestandteile, die sich in der Umgebung von Nervenzellen ablagern und dort Plaques bilden. Diese Proteinklumpen – auch Beta-Amyloide genannt – schädigen die Nervenzellen, bis diese schließlich absterben. Mittlerweile ist bekannt, dass die neurotoxischen Eiweißablagerungen aus Spaltprodukten eines bestimmten Makromoleküls bestehen, das auf der Membran von Nervenzellen zu finden ist. Amyloid-Vorläufer-Protein (APP) wird dieses Membranmolekül genannt.

Plaquebildung unerwünschter Nebeneffekt

„Es ist unwahrscheinlich, dass der biologische Sinn dieses Membranmoleküls darin besteht, Plaques zu bilden, Nervenzellen zu töten und damit eine der schlimmsten Formen von Demenz auszulösen. Man vermutet, dass dies eher ein unerwünschter Nebeneffekt ist“, sagt Dr. Manuel Than vom Leibniz-Institut für Altersforschung, Fritz-Lipmann-Institut in Jena. Der Forscher analysiert mit seinem Team die atomare Struktur des Amyloid-Vorläufer-Proteins, um dessen biologische Grundfunktionen ergründen zu können.

Den Jenaer Forschern ist es nun gelungen, einen wesentlichen Teil dieses Proteins – die so genannte E1-Domäne – zu kristallisieren und dessen atomare Struktur aufzuklären. Durch Bestrahlung von Proteinkristallen mit Röntgenstrahlung erzeugten die Wissenschaftler so genannte Beugungsdaten. Durch ein computergestütztes Verfahren wurden diese dann in ein hochaufgelöstes, dreidimensionales Abbild oder „Modell“ des Moleküls umgewandelt. Dieses Modell beschreibt den atomaren Aufbau und die räumliche Struktur des Moleküls. Dabei zeigte sich, dass die E1-Domäne eine starre Faltungseinheit bildet. „Anders als bisher angenommen, stellen die bisher bekannten Funktionsabschnitte, eine Kupferbindungsstelle und ein Wachstumsfaktor-ähnlicher Abschnitt, eine funktionale Einheit dar“, sagt Than.

Form bestimmt Funktion

„Form follows function“ – die Form bestimmt die Funktion – lautet dabei der Leitsatz der Wissenschaftler. „Solche Makromoleküle sind nicht nur spezifisch gefaltet, sie bilden auch ganz unterschiedliche Zusammenlagerungen. Und diese unterschiedlichen Molekülverbände nehmen im Organismus oft verschiedene physiologische Funktionen wahr“, erklärt der Biochemiker Sven Dahms. So vermuten die Forscher, dass APP eine Rolle bei der Interaktion zwischen Zellen spielt, aber auch bei der Kommunikation der Zelle mit ihrer Umgebung, der extrazellulären Matrix.

Auch als Wachstumsfaktor sowie bei der Übertragung von Signalen in der Zelle scheint APP in Erscheinung zu treten. Womöglich ist das Molekül an der Kappung von Nervenfortsätzen, den Axonen, beteiligt und vermag damit neuronale Verknüpfungen aufzulösen. „Bisher gab es kaum Informationen über die Struktur dieses Membranmoleküls, die mit diesen unterschiedlichsten Funktionen in Verbindung gebracht werden konnten“, erläutert Than.

Computer-generiertes Bändermodell der Aminosäurekette der E1-Region des APP. Als Grundlage dienten die protein-kristallographisch bestimmten Atomkoordinaten. © Than/FLI

Protein besteht aus drei Abschnitten

Das Amyloid-Vorläufer-Protein besteht aus drei Abschnitten, einem Transmembran-Teil, der beide Schichten der Zellmembran durchdringt, einem großen extrazellulären Abschnitt, der aus der Zelle herausragt sowie einem kleineren Bereich im Innern der Zelle. Die untersuchte E1-Domäne ist Teil des extrazellulären Abschnittes.

Die Jenaer Proteinkristallographen haben nun herausgefunden, dass sich die E1-Domäne und in Konsequenz das gesamte Protein zu einem Doppelmolekül zusammenlagert, wenn der pharmakologische Wirkstoff Heparin zugegeben wird. Heparin-ähnliche Substanzen kommen im Körper als sogenannte Heparansulfate häufig vor. Als Bestandteil der extrazellulären Matrix sind sie also vor allem außerhalb der Zellen anzutreffen. Solche Doppelmoleküle, auch Dimere genannt, findet man häufig bei Rezeptoren, die bei der Signalübertragung mitwirken. Außerdem werden sie als verbindende Elemente bei der Zusammenlagerung von unterschiedlichen Zellen beobachtet.

Wandelbares Amyloid-Vorläufer-Protein

Die Jenaer Forscher sehen in der Heparin-abhängigen Dimerisierung einen strukturellen Hinweis auf die Rolle von APP bei der Signalübertragung bzw. Zelladhäsion. Dieses Heparin-vermittelte E1-Dimer konnten die Forscher auch biochemisch nachweisen. Dabei zeigte sich zudem die pH-Abhängigkeit der Wechselwirkung zwischen den E1-Teilbereichen.

„Die verschiedenen Erscheinungsformen und unterschiedlichen Funktionen von APP haben die Wissenschaft lange irritiert. Unsere Ergebnisse lassen nun vermuten, dass das Amyloid-Vorläufer-Protein an unterschiedlichen Stellen in der Zelle verschiedene Formen annimmt bzw. in verschiedenen Molekülverbänden auftritt und somit jeweils andere Funktionen

erfüllen kann“, erklärt Dahms.

Neurotoxischer „bad guy“

Entscheidend für die jeweilige Struktur und Funktion sind womöglich die jeweiligen Zellbereiche und Organellen, in denen das APP seine Wirkung entfaltet. Auch von Gewebe zu Gewebe könnten sich Struktur und Funktion von APP ändern. Verantwortlich dafür sind höchst-wahrscheinlich variierende pH-Werte und Heparansulfatvorkommen.

„In Zukunft wird sich die Forschung daher darauf konzentrieren, die zellort- und organspezifischen Formen und Funktionen von APP aufzuklären“, sagt Than. Doch eines ist jetzt schon klar: APP ist weitaus mehr als nur ein neurotoxischer „bad guy“.

(idw – Leibniz-Institut für Altersforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI), 11.03.2010 – DLO)

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