Einige Amöben tun genau das, was auch wir Menschen vor einer Reise tun: Sie nehmen Proviant mit. Wie Forscher jetzt in „Nature“ berichten, nehmen Schleimpilz-Amöben der Art Dictyostellum discoideum vor Beginn ihrer Wanderphase lebende Bakterien auf. Diese „Haustiere“ werden später mitsamt der zur Spore umgewandelten Amöbenzelle weiter verbreitet und sorgen damit für Nahrungsnachschub im neuen Verbreitungsgebiet. Dies ist damit der erste Fall einer rudimentären „Haustierhaltung“ bei diesen Amöben.
Normalerweise leben die Amöben der Art Dictyostellum discoideum ganz normal als Bakterien fressende Einzeller im Boden. Leiden sie jedoch an Nahrungsmangel, machen sie eine seltsame Wandlung durch: Sie sammeln sich und bilden ein gemeinsames, pilzartiges Gebilde. Ein Teil der Amöben dient dabei als Stängelzellen, ein anderer formt den kugeligen Fruchtkörper und wandelt sich in Sporen um. Diese können mit dem Wind oder Tieren verteilt werden und haben so die Chance, bessere, nahrungsreichere Gebiete zu besiedeln.
Bakterien als „Haustiere“
Bislang gingen Wissenschaftler davon aus, dass die Amöben in Vorbereitung auf ihre Umwandlung in das sporenformende Stadium sich quasi auf Vorrat vollfressen. Doch eine neue Studie der Evolutionsbiologen Joan Strassmann und David Queller von der amerikanischen Rice Universität hat jetzt ein sehr viel raffinierteres Verhalten aufgedeckt: die Amöben nehmen sich lebenden Proviant mit. Ein Teil der Amöben, die sich später zu Sporen umwandeln, tragen lebende Bakterien mit sich und sorgen so dafür, dass sie auch am neuen Standort wieder „ausgesät“ werden.
In ihren Versuchen hielten die Wissenschaftler Dictyostellum-Amöben eines Klon-Stammes auf Nährmedien mit unterschiedlicher Bakteriendichte. Dabei zeigte sich, dass bei Nahrungsmangel rund ein Drittel der Tiere nicht etwa alle erreichbaren Bakterien fraß. Stattdessen nahmen sie nur einen Teil als Nahrung auf, den Rest lagerten sie in ihrem Inneren in dem Teil, der später die Sporen bildet.
„Farmer“-Rolle genetisch bedingt
Die Eigenschaft, die Bakterien sozusagen als primitive Haustiere zu halten, ist offenbar nicht zufällig oder situationsbedingt, sondern genetisch bestimmt: Die Forscher führten Versuche durch, in denen sie alle Amöben mittels Antibiotikum sterilisierten und so ihrer „Haustiere“ beraubten. Als dann die Tiere wieder lebende Bakterien erhielten, waren es wieder die gleichen Amöben, die sich als „Farmer“ betätigten. Offenbar sind Dictyostellum-Amöben entweder immer „Farmer“ oder nie – etwas dazwischen gibt es nicht.
„Wir wissen, dass primitiv-soziale Schleimpilze genetische Variationen besitzen, die ihre Fähigkeit, vorteilshafte Bakterien als Nahrungsquelle zu halten, beeinflussen“, erklärt George Gilchrist, Programmleiter für Umweltforschung der National Science Foundation. „Aber der Haken daran ist, dass mit den Vorteilen einer tragbaren Nahrungsquelle auch das Risiko steigt, schädliche Bakterien mitzuschleppen.“
Fragen nach dem Wie und Warum noch offen
Rätselhaft ist allerdings noch, welche genetischen Faktoren für dieses unterschiedliche Verhalten verantwortlich sind. Denn eigentlich sind alle Amöben eines Schleimpilzes genetisch weitestgehend identische Klone. Unklar ist auch, warum die „Farmer“ immer weniger weit wandern als ihre nicht-Bakterien haltenden. Dies könnte die Folge einer bakteriellen Beeinflussung sein, aber auch eine evolutive Reaktion darauf, dass „Farmer“ nicht so weit gehen brauchen, da sie ihre Nahrung mit sich tragen. Möglich wäre auch, dass die in der Wanderphase scheinbar nutzlosen Bakterien doch eine bisher unbekannte vorteilhafte Funktion ausüben.
(National Science Foundation, 24.01.2011 – NPO)