Nicht nur der Mensch und einige andere Säugetiere, sondern auch Elstern können sich selbst im Spiegel erkennen. Dies haben jetzt Bochumer und Frankfurter Wissenschaftler in einer Studie nachgewiesen. Die neuen Erkenntnisse führen zu wichtigen Konsequenzen für unser Verständnis der Evolution von Intelligenz und Bewusstsein.
Ein gelber Fleck unter dem Schnabel, wo keiner hingehört: Da schauen Elstern zweimal hin, wenn sie ihr Spiegelbild sehen, und machen sich gleich an die Fleckentfernung. Dieses Verhalten zeigt den Forschern Helmut Prior von der Universität Frankfurt am Main sowie Ariane Schwarz und Onur Güntürkün, Ruhr-Universität Bochum (RUB), dass sich auch Vögel im Spiegel selbst erkennen.
Und das, obwohl das Vogelgehirn über keinen Neokortex verfügt, von dem man bislang angenommen hatte, dass er für das Selbst-Erkennen verantwortlich sei, so die Forscher in der Fachzeitschrift „PLoS Biology“. Dieser jüngste Teil der Großhirnrinde hat sich in der Evolution erst später und nur bei Säugetieren entwickelt.
Gelber Fleck im toten Winkel
Im Kernexperiment markierten die Forscher fünf Elstern mit einem gelben oder einem schwarzen, auf dem Gefieder nicht sichtbaren Punkt, unter dem Schnabel, für den Vogel im toten Winkel. Alle Vögel durchliefen dieselbe Prozedur der Markierung und wurden dann in einen Testkäfig gesetzt. In diesem Käfig war eine Wand entweder verspiegelt oder der Spiegel mit einer Kunststoffplatte abgedeckt.
„Nur wenn der Vogel mit einem gelben Punkt markiert und der Spiegel unverdeckt war, begann die Elster, den Punkt zu entfernen“, beschreibt Güntürkün. „Das zeigt uns, dass sie im Spiegelbild tatsächlich sich selbst erkannt hatten.“
Intelligenz und Bewusstsein entstanden auf mehreren Wegen
Dieses Ergebnis hat mehrere wichtige Konsequenzen für das Verständnis der Evolution von Intelligenz und Bewusstsein. Denn Vögel und Säugetiere haben sich seit mindestens 300 Millionen Jahren getrennt entwickelt. Bisher konnte man die Spiegel-Selbsterkennung nur bei wenigen Menschenaffenarten wie Schimpansen und Orang-Utans gesichert nachweisen. Hinweise gab es auch für Delfine und Elefanten.
Diese Ergebnisse führten zu der Annahme, dass komplexe Denkprozesse und Bewusstsein nur bei höheren Säugetieren entstanden sind. „Der Nachweis des Selbsterkennens bei Elstern zeigt dagegen, dass diese Leistungen in der Evolution mehrfach und unabhängig voneinander entstanden sein müssen“, so Güntürkün.
Es geht auch ohne Neokortex
Der bei Menschenaffen und Menschen besonders groß entwickelte Neokortex wurde lange Zeit als unabdingbare Voraussetzung für komplexe Denkprozesse angesehen. Wie alle Vögel haben Elstern jedoch keinen Neokortex, sondern weisen eine vollständig andere Hirnorganisation auf. Somit zeigen die aktuellen Ergebnisse, dass sogar Selbst-Erkennen ohne Neokortex und somit durch alternative Hirnstrukturen erzeugt werden kann.
(idw – Ruhr-Universität Bochum / Universität Frankfurt am Main, 20.08.2008 – DLO)