Sex als Beziehungskitt unter Verbündeten
Als nächstes untersuchten die Biologen, unter welchem Umständen die Rhesusaffen gleichgeschlechtlichen Sex praktizierten. Dabei zeigte sich: Die Kopulationen dienen offenbar nicht als bloße Machtdemonstration ranghoher Männchen, wie von einigen Theorien für solches Verhalten bei Säugetieren postuliert. Denn bei den Rhesusaffen waren die aufreitenden Männchen oft sogar rangniedriger als ihre Partner. Insgesamt spielte der soziale Rang der Affenmännchen für dieses Verhalten nur eine untergeordnete Rolle, wie Clive und sein Team feststellten.
Doch wo liegt dann der Vorteil dieses Verhaltens? Wie die Biologen beobachteten, kamen Kopulationen besonders oft unter Männchen vor, die miteinander verbündet waren und sich bei Konflikten gegenseitig unterstützten. 16,5 Prozent der gleichgeschlechtlichen Paarungen kamen zudem in Situationen vor, in denen sich dieses Männerbündnis gegenüber Artgenossen behaupten musste. Der Sex unter Männchen könnte demnach ihre Koalition und Beziehung stärken. „Dies könnte vielleicht einer der Vorteile dieser gleichgeschlechtlichen Aktivität sein“, erklärt Clive.
Keine Nachteile bei der Fortpflanzung
Eine Bestätigung dafür fanden die Biologen, als sie den Fortpflanzungserfolg der Rhesusaffenmännchen näher untersuchten. „Gängiger Annahme nach bringt gleichgeschlechtliches Sexualverhalten Kosten bei der Fitness mit sich“, erklären die Forscher. Weil aus gleichgeschlechtlichen Paarungen keine Kinder hervorgehen, produzieren diese Tiere weniger oder keinen Nachwuchs. Dies galt lange als Argument dafür, dass Homosexualität den Prinzipien der Evolution und des „Survival oft he fittest“ widerspricht – und daher „unnatürlich“ sein müsse.
Doch die Rhesusaffen widerlegen diese Annahme nun. Weil bei dieser Population schon seit 1956 von allen Affen Genproben gesammelt und analysiert werden, lässt sich genau nachvollziehen, welches Tier wie viele Nachkommen produziert hat. Das Ergebnis: „Wir fanden eine positive Korrelation zwischen gleichgeschlechtlichen Kopulationen und Fortpflanzungserfolg“, berichten Clive und seine Kollegen. Die Männchen, die auch Sex mit Männchen hatten, zeugten demnach im Schnitt mehr Nachkommen als die rein heterosexuellen Affenmännchen.
Soziale Vorteile sorgen für evolutionäre Weitergabe
Ein möglicher Grund dafür: Weil die Männchen durch ihre gleichgeschlechtlichen Kopulationen Verbündete gewinnen und sich in Konflikten durchsetzen können, steigert dies auch ihre Chancen beim weiblichen Geschlecht – und damit auch ihre reproduktive Fitness. „Die sozialen Vorteile des gleichgeschlechtlichen Verhaltens können zumindest zum Teil erklären, warum sich diese Praxis bei diesen Primaten evolutionär erhalten hat“, schrieben Clive und seine Kollegen.
Nach Ansicht von Clive und seinem Team widerlegen ihre Ergebnisse die Annahme, nach der gleichgeschlechtlicher Sex bei Tieren eine extrem seltene Ausnahme ist oder nur unter ungewöhnlichen Umweltbedingungen auftritt. Bei Rhesusaffen sei dieses Verhalten zudem nicht nur in Puerto Rico, sondern auch in Thailand und Indien beobachtet worden. „Cayo Santiago ist demnach nicht außergewöhnlich“, sagen die Biologen. Sie vermuten sogar, dass sich diese Art von gleichgeschlechtlichen Kopulationen gerade bei Primaten als eine evolutionäre Strategie entwickelt haben könnte.
Erbliche Veranlagung nachgewiesen
Dazu passt eine weitere Entdeckung: Ähnlich wie bei uns Menschen ist die Neigung zu gleichgeschlechtlichem Sex bei den Rhesusaffen zumindest zum Teil genetisch bedingt. Genanalysen ergaben, dass dieses Verhalten bei den Affenmännchen zu 6,4 Prozent erblich bedingt ist. Zum Vergleich: Bei uns Menschen liegt der Anteil zwischen acht und elf Prozent. „Dies ist unseres Wissens nach der erste Beleg für eine genetische Basis gleichgeschlechtlichen Sexualverhaltens bei einem Primaten außer dem Menschen“, konstatieren die Forscher.
Auch dies bestätige, dass es sich hier um ein natürliches und evolutionär verankertes Verhaltne handele: „Unglücklicherweise gibt es noch immer die Ansicht unter einigen Menschen, dass gleichgeschlechtlicher Sex ‚unnatürlich‘ sei und in einigen Ländern steht auf Homosexualität sogar noch immer die Todesstrafe“, sagt Seniorautor Vincent Savolainen vom Imperial College London. „Unsere Studie zeigt dagegen, dass gleichgeschlechtliches Verhalten auch bei nichtmenschlichen Primaten häufig sein kann.“ (Nature Ecology and Evolution, 2023; doi: 10.1038/s41559-023-02111-y)
Quelle: Imperial College London
11. Juli 2023
- Nadja Podbregar