Nicht der Urknall schuf unser Universum, sondern ein übernatürlicher "Schöpfer". Auch das Leben auf der Erde, eingeschlossen der Mensch, sind das Ergebnis eines intelligenten Schöpfungsakts – das jedenfalls behaupten die Anhänger des Kreationismus. Seit den 1990er Jahren ist die Lehre als "Intelligent Design" bekannt. Obwohl von den meisten Wissenschaftlern einhellig als haltlos eingestuft, finden die Ideen seit einigen Jahren vor allem in den USA enormen Zulauf. Nun hat die Welle des Schöpfungsglaubens auch Russland erfasst.
Wie Forscher der Universität Jena in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Nature berichten, haben eine 15-jährige Schülerin und ihre Familie das russische Bildungsministerium angeklagt. Das Mädchen fühle sich durch "Darwins kontroverse Hypothese", mit der sie sich im Biologieunterricht auseinandersetzen musste, in seinen religiösen Gefühlen verletzt.
Dass es sich dabei nicht um einen Einzelfall handelt, weiß Georgy S. Levit, Erstautor des "Nature" Beitrags. "Hinter der Klage stehen einflussreiche religiöse und politische Kreise", macht der aus St. Petersburg stammende Wissenschaftshistoriker die Dimension deutlich. Levit forscht seit 2002 am Institut für Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft und Technik der Jenaer Universität zu Alternativtheorien in der Evolutionsbiologie und kennt die Situation im Land.
Orthodoxe Kirche unterstützt Kreationisten
So werde die aktuelle Anklage beispielsweise durch Teile der mächtigen orthodoxen Kirche unterstützt. "Diese Kräfte wollen sich eine Entwicklung in Russland zu Nutze machen, die man bereits seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion beobachten kann", erklärt Uwe Hoßfeld von der Universität Jena. "Nach dem Wegfall des staatlich verordneten Atheismus wandten sich viele Russen verstärkt der Religion zu", so der Biologiedidaktiker und Wissenschaftshistoriker weiter.
Derzeit sind fast 22 000 religiöse Vereinigungen in Russland aktiv. Eine ganze Reihe davon unterstützen den Kreationismus und stellen die Lehre Darwins eher als Bestandteil der Sowjetideologie denn als fundierte Naturwissenschaft dar. Bis in die 1930er Jahre galten "Darwinismus" und "Marxismus" als Kausalgefüge.
Forscher: Prozessverlauf genau beobachten
Die Jenaer Wissenschaftler, darunter auch Professor Lennart Olsson, sehen in dem aktuellen Gerichtsverfahren vor allem einen Versuch, das säkulare Schulsystem in Russland, das Religionsunterricht in staatlichen Schulen verbietet, aufzuweichen. "Bereits seit diesem Jahr wird an einigen Schulen das Fach ,Grundlagen der orthodoxen Kultur' als Pflichtfach gelehrt", so Levit.
Er mahnt, den Prozessverlauf genau zu beobachten: "Es ist ein wichtiger Test, wie fest das universelle Gut der wissenschaftlichen Freiheit im heutigen Russland verankert ist." Mit dem Prozessurteil rechnen Beobachter noch im Dezember.
(idw – Universität Jena, 17.11.2006 – DLO)