Paläontologie

Australopithecus sediba: Doch nicht unser Urahn?

Statistik schließt Vormenschen als direkten Vorfahren der Gattung Homo aus

Homininen-Fossilien
Schädel von A. afarensis (links), Homo habilis und A. sediba (rechts) im Vergleich. © Matt Wood/ UChicago

Komplizierte Verwandtschaftsfrage: Der Vormensch Australopithecus sediba ist vermutlich doch nicht der direkte Vorfahre aller Menschen der Gattung Homo. Zu diesem Schluss sind Forscher nun mithilfe der Statistik gekommen. Ihren Berechnungen zufolge macht bereits das Alter der bekannten Fossilien eine direkte Abstammung der ersten Homo-Frühmenschen von A. sediba mehr als unwahrscheinlich. Viel eher käme demnach ein anderer Kandidat als unser aller Urahn infrage.

War der Vormensch Australopithecus sediba ein direkter Vorfahre der ersten Vertreter der Gattung Homo? Seit der Entdeckung des Fossils in einer Höhle in Südafrika wird über diese Frage heftig gestritten. Denn einerseits sprechen einige seiner erstaunlich modernen anatomischen Merkmale durchaus für eine enge Verwandtschaft mit den ersten Frühmenschen unserer Gattung. Andererseits macht die ungewöhnliche Mischung mit urtümlichen Eigenschaften seine genaue Einordnung in den Menschenstammbaum schwierig.

Hinzu kommt eine chronologische Diskrepanz: Mit einem Alter von knapp zwei Millionen Jahren sind die einzigen bekannten A. sediba-Knochen 800.000 Jahre jünger als das älteste bekannte Homo Fossil – ein Kieferknochen aus Äthiopien. „Natürlich ist es theoretisch möglich, dass das Fossil eines Vorfahren jünger ist als das seines evolutionären Nachfahren „, erklärt Andrew Du von der University of Chicago. Die einzige Voraussetzung dafür: Die Existenz beider Arten muss sich zeitlich teilweise überschnitten haben.

Chronologie der Fossilien im Blick

Doch wie wahrscheinlich ist ein solches Muster in der fossilen Überlieferung? Genau das haben Du und sein Kollege Zeresenay Alemseged nun untersucht. „Der Ursprung von Homo ist eine der heikelsten Fragen der Paläoanthropologie und hat zu vielen Spekulationen geführt. Angesichts der wenigen Fossilfunde aus der fraglichen Zeit ist es daher wichtig, auch anderen Hinweisen nachzugehen“, betonen die Forscher.

Zum Beispiel mithilfe der Statistik: Für ihre Studie entwickelten die Wissenschaftler ein Wahrscheinlichkeitsmodell, um zu beurteilen, ob A. sediba tatsächlich der Vorfahre aller Menschen der Gattung Homo sein könnte. Dabei nahmen sie an, dass sowohl der Urmensch aus Südafrika als auch die ersten Homo-Spezies rund eine Million Jahre lang die Erde bevölkerten – dies ist ihnen zufolge die durchschnittliche Lebensspanne für jede Homininen-Art. Zudem postulierten sie: Die Chance ein Fossil zu finden, ist für jeden Zeitpunkt aus dieser Spanne gleich.

„Wahrscheinlichkeit tendiert gegen null“

Unter diesen Voraussetzungen berechneten Du und Alemseged dann: Wenn A. sediba ein Vorfahre der Gattung Homo ist und teilweise zeitgleich mit den ersten Frühmenschen dieser Gattung lebte, wie wahrscheinlich ist es dann, dass das älteste bekannte A. sediba-Fossil mindestens 800.000 Jahre jünger ist als die ersten Homo-Knochen? „Unsere Modelle zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit gegen null tendiert“, berichtet Du. Konkret liegt sie dem Ergebnis zufolge bei rund 0,09 Prozent.

Zusätzlich zu ihren Berechnungen durchforsteten die Paläoanthropologen die wissenschaftliche Literatur nach anderen möglichen Vorfahre-Nachfahre-Paaren unter homininen Spezies. Dabei fanden sie nur ein einziges Beispiel, bei dem das erste Fossil des Nachfahren älter war als das des wahrscheinlichen Vorfahren. In diesem Fall lag der zeitliche Abstand allerdings nur bei 100.000 Jahren. „800.000 Jahre sind dagegen eine wirklich lange Zeit“, sagt Du.

„Lucy“ als alternativer Kandidat

Damit ist für die Wissenschaftler klar: Das Australopithecus sediba unser aller Urahn ist, scheint mehr als unwahrscheinlich. Doch wer war es dann? Nach Ansicht des Teams wäre Australopithecus afarensis ein guter Kandidat. Denn zum einen lebten Urmenschenfrau „Lucy“ und ihre Artgenossen bereits vor mindestens drei Millionen Jahren und damit zu jener Phase, der auch der erste Homo-Kiefer zugeordnet wird.

Zum anderen wurden „Lucy“ und auch weitere Australopithecus afarensis-Individuen nur wenige Meilen vom Fundort dieses Kiefers in Äthiopien entfernt entdeckt. Und: Auch die anatomischen Merkmale des Kiefers sind denen von A. afarensis ähnlich genug, um von einer direkten Abstammung ausgehen zu können. „Das Timing, die Geografie und die Morphologie – diese drei Beweisstücke machen A. afarensis für uns zu einem besseren Kandidaten als A. sediba“, erklärt Alemseged. (Science Advances, 2019; doi: 10.1126/sciadv.aav9038)

Quelle: AAAS/ University of Chicago Medical Center

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