Schwacher Kiefer: Der rätselhafte Vormensch Australopithecus sediba war offenbar doch nicht an harte Nahrung angepasst. Denn seine Kiefer und Zähne waren nicht stabil genug, um auf Dauer Nüsse zu knacken oder Baumrinde und harte Blätter zu kauen, wie Forscher jetzt festgestellt haben. Das macht ihn uns ähnlicher als viele seiner damaligen Zeitgenossen, wie die Forscher im Fachmagazin „Nature Communications“ berichten.
Der in einer Höhle in Südafrika entdeckte Vormensch Australopithecus sediba lebte vor rund zwei Millionen Jahren und könnte damit ein Vorfahre der ersten Frühmenschen der Gattung Homo gewesen sein. Doch aufgrund seiner ungewöhnlichen Mischung aus modernen und urtümlichen Merkmalen ist seine Position im Menschstammbaum strittig.
Baumrinde und harte Blätter
2012 enthüllten Analysen des Zahnsteins noch mehr Auffälligkeiten dieses Vormenschen. Demnach musste dieser Australopithecus sediba neben Blättern auch holzige Stücke von Pflanze und Baumrinde gegessen haben. „Die meisten Australopithecinen besaßen erstaunliche Anpassungen ihrer Zähne, Kiefer und Gesichter, die es ihnen ermöglichten, auch Nahrung zu essen, die schwer zu kauen oder zu knacken war“, erklärt Studienleiter David Strait von der Washington University in St. Louis. „Unter anderem konnten sie mit enormer Kraft zubeißen.“
Doch wie sich jetzt zeigt, gehörte Australopithecus sediba wohl nicht zu diesen „Nussknacker“-Menschen. Denn als die Forscher einen der in Südafrika gefundenen Schädel einer biomechanischen Analyse unterzogen, entdeckten sie auffallende Schwachstellen in der Konstruktion des Kiefers und der Zähne.
Kiefergelenk als Schwachstelle
„Wir stellen fest, dass Australopithecus sediba eine entscheidende Begrenzung in seiner Beißkraft besaß“, berichtet Erstautor Justin Ledogar von der University of New England. „Wenn er seine Backenzähne mit der vollen Kraft seiner Kaumuskeln zusammengebissen hätte, dann hätte er sich den Kiefer ausgerenkt.“
Nach Ansicht der Forscher spricht dies dafür, dass die Nüsse und Baumrinde, die der fossile Australopithecus sediba gegessen haben muss, eher die Ausnahme als die Regel auf dem Speiseplan dieses Vormenschen waren. „Auch wenn A. sediba einige harte Nahrung essen konnte, ist es sehr unwahrscheinlich, dass er an diese Art von Ernährung angepasst war“, sagt Ledogar.
Uns ähnlicher als andere Vormenschen
Diese Erkenntnis könnte auch ein weiteres Puzzleteil zur Einordnung dieses rätselhaften Vormenschen in unseren Stammbaum liefern. Denn bisher galten „Nussknacker“-Formen unter den Vormenschen wie der etwa um die gleiche Zeit wie Australopithecus sediba lebende Paranthropus robustus eher als Seitenäste am Menschenstammbaum.
Seine Begrenzung der Beißkraft rückt A. sediba dagegen eher in den Stammbaumast unserer Vorfahren. „Auch wir Menschen haben diese Einschränkung in der Beißkraft“, sagt Ledogar. „Aber die anderen Australopithecinen, die wir untersucht haben, waren in dieser Hinsicht nicht so stark begrenzt.“ Nach Ansicht der Forscher könnte das Wissen um den Speiseplan unserer Vorfahren und dessen Änderungen dabei helfen herauszufinden, wie diese Vormenschen begannen, sich zum Frühmenschen zu entwickeln. (Nature Communications, 2016; doi: 10.1038/ncomms10596)
(University of Witwatersrand/ Nature, 09.02.2016 – NPO)