Begleiter im Alltag: Wenn wir Pizza oder Brot backen, können wir buchstäblich bei der Zellteilung zuschauen. Doch die Bäckerhefe ist nicht nur Grundlage vieler unserer Nahrungsmittel, sondern findet in fast jedem molekularbiologischen Labor auch Anwendung als Modellorganismus. Selbst in der Industrie ist die Hefe als Medikamenten- oder Rohstoffproduzent nicht mehr wegzudenken. Deshalb wurde sie nun zur Mikrobe des Jahres 2022 gekürt.
Wenn wir uns auf ein Feierabendbier verabreden oder einen Geburtstagskuchen anschneiden, ist die Mikrobe des Jahres 2022 immer mit dabei: Die Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae ist ein winziger Einzeller und zählt zu den Mikroben, auch wenn sie – anders als die Bakterien – einen Zellkern besitzt (Eukaryonten). Aufgrund dieser Übereinstimmung mit menschlichen Zellen ist sie der perfekte Modellorganismus für genetische und zellbiologische Forschung. Im Jahr 1996 war die Bäckerhefe der erste eukaryontische Organismus, dessen Genom vollständig sequenziert wurde. Als kleine „Zellfabriken“ stellen sie außerdem Medikamente und Rohstoffe in industriellem Maßstab her.
„Zuckerpilz des Bieres“ bedeutet der lateinische Name Saccharomyces cerevisiae. Die Mikrobe des Jahres 2022 ist ein großer Braumeister, obwohl sie so winzig ist, dass zehn ihrer Zellen gestapelt gerade mal die Dicke von Papier erreichen. Sichtbar wurde die Brauhefe erst mit der Erfindung des Lichtmikroskops im Jahr 1680 in Form vieler kleiner Partikel, die das Bier trübe machen. Es dauerte fast 200 weitere Jahre, bis Louis Pasteur lebende Hefezellen als Ursache für die alkoholische Gärung erkannte.
Wegen ihrer Bedeutung für unseren alltäglichen Genuss und der nachhaltigen Produktion wurde die Bäckerhefe nun von der Vereinigung für Allgemeine und Angewandte Mikrobiologie (VAAM) zur Mikrobe des Jahres 2022 gewählt.
Brauhelfer schon seit Jahrtausenden
Die Hefefermentation nutzen die Menschen seit Jahrtausenden: Im nahen Osten stellten Menschen schon vor 13.000 Jahren eine Art Bier her. In China gab es vor rund 5.000 Jahren schon spezielle Bierbrau-Werkstätten. In Europa wurde Bier in früheren Jahrhunderten sogar von Kindern getrunken, weil es deutlich keimärmer war als das häufig verschmutzte Wasser.
Im Prozess der anaeroben Gärung generieren die Hefezellen chemische Energie in Form von Adenosintriphosphat (ATP), indem sie Glucose und Fructose zu Kohlendioxid-Bläschen (CO2) und dem Alkohol Ethanol abbauen. Das macht die Mikrobe natürlich nicht den Menschen zuliebe, sondern Ethanol verschafft den Hefezellen einen evolutionären Vorteil. Der Alkohol tötet konkurrierende Mikroorganismen und kann von den Hefezellen weiter abgebaut werden, falls der Zucker zur Neige geht.
Lockermacher für Brot und Kuchen
Auch im Kuchenteig bilden die einzelligen Hefepilze CO2. Der dafür notwendige Zucker wird durch das Mehl bereitgestellt, welches aus Kohlenhydraten, also zu Ketten verknüpften Zuckern, besteht. Im Teig sorgt das Protein Gluten wie ein Kleber dafür, dass die Kohlendioxid-Bläschen nicht entweichen können und der Teig aufgeht und locker wird. Auch kräftiges Kneten des Teigs erfüllt seinen Zweck: Die Hefezellen verteilen sich im Teig und die leichte Wärme regt ihren Stoffwechsel und die Vermehrung an.
Bäckereien, Brauereien, Wein- und Sektkellereien verwenden eine Vielzahl unterschiedlicher Hefestämme und -arten. Im für Brot verwendeten Sauerteig unterstützen Milchsäurebakterien die Hefe. Die genaue Zusammensetzung und ihre Einsatzbedingungen sind häufig gut gehütete Betriebsgeheimnisse.
Verwandtschaft macht Forschung möglich
Aber auch aus der der biotechnologischen Forschung ist Saccharomyces cerevisiae schon lange nicht mehr aus wegzudenken: Die Hefezellen sind mit einer kurzen Verdopplungszeit von 90 Minuten leicht zu kultivieren und Mechanismen der Zellzyklusregulation, Genexpression oder DNA-Reparatur sind eng verwandt mit denen von Säugetierzellen. In der zellulären Grundlagenforschung sind in den letzten Jahren sogar zahlreiche Nobelpreise auf die Forschung mit Hefe als Modellorganismus zurückzuführen.
Heute gibt es Stammsammlungen, in denen jedes einzelne der ca. 6.300 Hefegene veränderbar ist, sodass Genfunktionen genauer untersucht werden können und Vorhersagen zur Funktion von menschlichen Genen getroffen werden können. Schließlich haben 20 Prozent der Gene, die mit menschlichen Krankheiten in Verbindung gebracht werden, ein Homolog – also ein verwandtes Gen – in der Hefe. Mit diesem Wissen können zum Beispiel neurodegenerative Krankheiten besser verstanden werden. Auch zum Verständnis der komplexen Vererbungsvorgänge haben die Gene der Hefepilze viel beigetragen.
Hefe in Medizin und Technik
Hefezellen dienen auch zur Produktion von medizinisch relevanten Proteinen. Beispielsweise wurde das menschliche Insulin-Gen in das Hefegenom „eingepflanzt“. Die Hefezellen produzieren große Mengen des menschlichen Hormons, das anschließend in der Diabetestherapie eingesetzt werden kann.
Auch in der Produktion von Medikamenten gegen Malaria spielt Backhefe eine Rolle. Der Stoffwechsel der Hefen wird dabei so „umprogrammiert“, dass die Hefezellen aus Zucker anstatt Ethanol, Artemisininsäure produzieren und dabei alle Ressourcen die nicht zwingend notwendig für das Überleben der Zelle sind, in diese Produktion stecken. Das Endprodukt wird schließlich weiter zum Malaria-Medikament Artemisinin prozessiert.
Der Stoffwechsel der Hefezellen wird jedoch nicht nur für medizinische Zwecke ausgenutzt, sondern findet inzwischen auch Anwendung in der Produktion von Molekülen, die weiter zu Treibstoffen, Polyester oder Hautcremes verarbeitet werden können.
Eine weitere wichtige Rolle für die Biotechnologie spielt eine Eigenschaft, die Hefen wie alle Eukaryoten auszeichnet: Sie besitzen membranumschlossene Organellen, die eine räumliche Trennung verschiedener biochemischer Prozesse erlauben. Damit lassen sich beispielsweise giftige Zwischenstufen innerhalb der Zelle abtrennen. So ist es Forschenden kürzlich gelungen, Enzyme für die Vorstufe von Nylon in bläschenartige Vesikel zu „verpacken“. Das zeigt beispielhaft, wie die Arbeitsteilung in der Zelle durch neue Reaktionsräume optimiert werden kann.
Quelle: Verband Biologie, Biowissenschaften und Biomedizin in Deutschland e.V.