Raffinierte Manipulation: Eine auf Blüten vorkommende Mikrobe spielt eine überraschende Rolle für die Pollenkeimung. Denn das Bakterium Acinetobacter bringt die Pollen dazu, vorzeitig aufzuplatzen und ihr nahrhaftes Inneres freizulegen. Diese Form der Manipulation war bisher von keinem anderen Organismus bekannt. Für die Mikrobe bringt dies dringend benötigte Nährstoffe, ob dies der Fortpflanzung der Pflanze schadet, muss nun noch untersucht werden.
Der Pflanzenpollen ist normalerweise von einer festen Hülle umschlossen, die ihn vor Umwelteinflüssen schützt. Erst wenn es zur Befruchtung kommt, bringen Botenstoffe des weiblichen Fruchtknotens das Pollenkorn dazu, auszukeimen. Die Pollenhülle platzt auf und es bildet sich ein Pollenschlauch, über den die männliche Geschlechtszellen zur weiblichen Narbe wandern.
Nektarlebende Mikrobe unter Beobachtung
Doch wie sich jetzt zeigt, gibt es einen Organismus, der diesen Ablauf zu seinen Gunsten manipuliert. Bakterien der Gattung Acinetobacter leben im Nektar von Blütenpflanzen, aber auch auf den Pollen und anderen Blütengeweben. Obwohl diese Umgebung eher stickstoffarm ist und damit den Mikroben ein wichtiger Nährstoff fehlt, können sie in den Blüten hohe Dichten von bis zu einer Milliarde Zellen pro Milliliter erreichen – aber wie?
Um das zu klären, haben Shawn Christensen von der University of California in Davis und sein Team Acinetobacter pollinis in einer Nährlösung mit Pollenkörnern des Kalifornischen Mohns (Eschscholzia californica) kultiviert. Zum Verglich setzen sie ähnliche Kulturen mit in Blüten vorkommenden Hefen und anderen Bakterienarten an.
Pollenkörner keimen vorzeitig
Es zeigte sich: In den Kulturen, in denen Acinetobacter präsent war, begannen die Pollenkörner schon nach 45 Minuten vermehrt aufzuplatzen. „Acinetobacter pollinis induzierte eine fünfmal höhere Pollenkeimung und 20-fach stärkeres Pollenplatzen als bei Kulturlösungen ohne die Bakterien“, berichten Christensen und seine Kollegen. Parallel dazu vermehrten sich die Bakterien rasant und erreichten in den Pollenlösung fast die doppelte Dichte.
„Dies ist der erste dokumentierte Fall einer durch eine Nicht-Pflanze stimulierten Pollenkeimung“, erklärt Christensen. „Die nektarlebenden Mikroben bringen den Pollen dazu, aufzuplatzen und das Protein aus seinem Inneren freizugeben.“ Damit hat das Bakterium einen Weg gefunden, um trotz der schützenden und harten Pollenhülle an die Nährstoffe im Inneren heranzukommen. Es sichert sich damit einen reichen Vorrat an Nährstoffen in der sonst eher kargen Umgebung der Blüte.
Was bedeutet dies für Pflanze und Bestäuber?
„Acinetobacter bringt die Pollenkörner dazu, ihnen quasi die Tür von innen zu öffnen“, erläutert Christensens Kollegin Rachel Vannette. „Das ist ein wirklich raffinierter biologischer Trick – und öffnet die Tür zu einer Menge spannender Forschungsfragen.“ So ist noch unbekannt, über welche chemischen Signale die Bakterien die Pollen zur vorzeitigen Keimung bringen. Auch die Rolle dieser Mikroben für andere Pollenfresser wie die Bienen ist nicht geklärt – profitieren auch sie von der Präsenz der „Pollenknacker“-Bakterien?
Ebenfalls noch offen ist die Frage, ob die vorzeitige Pollenkeimung der Pflanze und ihrem Fortpflanzungserfolg schadet. „Wie wir gezeigt haben, können Blütenmikroben die Pollenphysiologie signifikant beeinflussen – und das könnte bedeutende Konsequenzen für Pflanzen und ihre Bestäuber haben“, erklärt das Forschungsteam. (Current Biology, 2021; doi: 10.1016/j.cub.2021.07.016)
Quelle: University of California – Davis